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UrosŠ Zupan


HÖLDERLINTURM

Chengdujska 34, Wohnung Nummer 5,
erster Stock, drei Treppen hoch und
dann geradeaus, so daß dir eine Riesenfliese ins Gesicht
prallt, die größte in FuzŠine, wenn nicht sogar
in ganz Ljubljana - eines Dichters würdig. Mein Vater
hat sie an der Tür angebracht, ZUPAN steht
drauf. Das ist mein Hölderlinturm.
Zwar hat ihn mir kein Schreinermeister
geschenkt, für dessen Lobpreis ich die Götter anrufen
könnte, sondern die Gemeinde Ljubljana - Zentrum,
mit genau derselben Absicht. Nun verbringe ich die
meiste Zeit hier. Ich liege, schlafe, warte auf NatasŠa, drücke
auf die Knöpfe der Fernbedienung, warte, daß auf irgend einem
Kanal ein Fußballspiel übertragen wird. Marjan Rozanc
würde sagen: Die Messe des Zwanzigsten Jahrhunderts.
Ich mache mich rund um den Herd zu schaffen.
Koche Risotto, Pasta, Suppen. Vollbringe im Ofen
Wunder. Mische Salate. Ruccola muß sein.
Tunke Brot in Olivenöl. Esse den Mediterran.
Wenn NatasŠa nach Hause kommt, ißt auch sie
den Mediterran. Am allerliebsten bin ich ein blinder
Passagier auf dem Schiff, das in die Kindheit fährt.
Dann schreibe ich alles auf. Einige lesen das
und legen es angeekelt weg. Einige lesen das
und verlieben sich in das Geschriebene. Die sind mir lieber.
Ich brauche nirgendwohin zu gehen. Ich drehe am Globus.
Stecke die Fähnchen meiner vergangenen und künftigen
Expeditionen hinein. Abends versperre ich die Münder
meiner Bücher, damit sie nicht streiten. Draußen fließt
die Ljubljanica, die sich für den Neckar hält. Doch der
Neckar kann nur die TrboveljsŠcica sein. Ich gehe an
der Ljubljanica entlang. Fahre mit Inliners, immer
leichtsinniger, ich springe schon über Bordkanten.
Fürs erste ungestraft. Statt mit aller angebrachten
Achtung vor Größe unablässig zu lallen "Pallaksch,
Pallaksch", brülle ich laut über den Spielplatz:
"Her mitm Påll. Sei ka Geitla. Faschwind fateidign".
Leute rufen mich an, wecken mich
aus meiner Dichtertrance und fragen:
"Herr Zupan, haben Sie vielleicht schon meine Gedichte
gelesen? Was halten Sie von ihnen?" Mir fällt keine
Ausrede mehr ein. Am liebsten würde ich mit dieser
Schwerarbeit aufhören. Ich finde mich im Feld zarter
Seelen schlecht zurecht. Zu Besuch kommt nie jemand.
Die dichterischen Energien in diesem Raum könnten
jemanden zu sehr beglücken, und davor fürchten sich
alle. Weiß Gott, was mir die Nachbarn alles zutrauen.
Geldwäsche. Waffenschieberei. Mädchenhandel.
Geschäfte mit Träumen. Schacher mit Worten,
die die schlimmsten Wunden heilen.
Mein Bild ist in der Zeitung. Letzthin
trat ich mit gewählten Worten und sorgfältig
abgewägten, kunstvoll gedrechselten Sätzen in den
Hauptabendnachrichten eines Privatsenders auf.
Und die Leute dachten wieder: "Der da, der da, der
ist sicher reich." Ich sehe mich im Fernsehen nicht an.
Der Bildschirm trägt zu sehr auf. Früher sehnte ich mich
nach Aufmerksamkeit, Glitter und Glamour, damit
mich eine unbekannte Schöne am Ärmel packt
und sagt: "Ich suche dich schon lange, du bist noch
schöner als auf dem Foto, bist das überhaupt du?"
Heute genieße ich es, im Untergrund zu leben.
Lese abwechselnd theologische Studien und Sportteile.
Zuerst eine halbe Stunde Zeugnis für das Gute, dann
eine halbe Stunde World Soccer. Die Reihenfolge ist
unerheblich und die Ergebnisse jetzt schon erstaunlich.

[kolik 9]