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Doron Rabinovici

Weißglut

Weißglut konnte blenden. Die Leute lächelten, wenn von ihm die Rede war. Kam er von der Arbeit nach Hause, liefen ihm die Kinder entgegen. Seine Frau fragte nicht nach seinen Aufträgen. Er verlor darüber kein Wort und sie vermied es, ihn darauf anzusprechen. Sie wusste, für die Familie war er zu jedem Opfer bereit. Wenn irgendwer mehr über seinen Beruf erfahren wollte, wurde er karg und sie war es dann, die vom Thema ablenkte und von etwas anderem begann. Er dankte ihr nie dafür, doch manchmal, wenn sie ihn wieder vor der Neugier eines Nachbarn gerettet hatte, griff er nach ihrer Hand und drückte sie ein wenig.

Weißglut sorgte dafür, sein Zuhause nicht durch sein Gewerbe zu beflecken. Die Buben durften nicht inVersuchung geraten, ihm nachzueifern. Er hoffte, ihnen eine solide Ausbildung ermöglichen zu können. Etwas Anständiges sollten sie werden. Er träumte davon, die Söhne würden Arzt, Rechtsanwalt oder Pharmazeuten werden. Sie sollten nicht jenen Weg wählen, auf den es ihn notgedrungen verschlagen hatte und der zu seinem Schicksal geworden war.

Weißglut war der Beste. Er ging seine Aufträge gewissenhaft an. Er erledigte einen nach dem anderen. Er machte sie fertig, ohne viel Aufsehen zu erregen. Er arbeitete schnell und still. Es sah aus, als geschähe alles von selbst. Sie erstickten an einem Bissen. Sie gerieten unter den Zug. Sie fielen aus dem Fenster. Sie griffen in den Strom. Sie ertranken im See. Unendlich war seine Fantasie. Jeder Mord wurde zum Kunststück.Weißglut war ein Profi. Er tötete nie ausWut. Er führte die Aufgaben kalt und leise aus. Seine Gelassenheit machte ihn stark und seine Stärke machte ihn gelassen.

Aber eine einzige Nachrichtensendung sollte genügen, umWeißglut aller Ruhe zu berauben. Er verlor seine Selbstsicherheit. Erst wollte er es nicht wahrhaben, doch beim nächsten Job überfiel ihn die Panik. Er versuchte, das Zielfernrohr auf eine Kette zu richten, an der ein zentnerschwerer Stahlluster hing, doch – anders als sonst – zitterte er.Weißglut schwitzte. Die Hände wurden feucht. Der Blick flimmerte. Er hörte sein Herz und dieses Rauschen in seinen Ohren. In den Nächten danach lag er wach. In denTagen spannte die Haut, als sei sie ihm zu eng geworden, und die Augen brannten. Der Druck in der Brust. Atemnot.

Hunderttausende kamen ins Land.Weißglut war klar: Unter ihnen waren nicht wenige, die das Handwerk beherrschten, das seine Familie ernährte. Sie würden ihn bald ersetzen. Für geringere Bezahlung. Er durfte sich keinen Schnitzer leisten dachte er und konnte nur noch an Fehler denken. Die Angst vor demVersagen lähmte ihn. Er fürchtete um seine Zukunft.

Er könne den Auftrag nicht erfüllen, sagte Weißglut dem Kunden. Es tue ihm leid. Einer jener Fremden werde gewiss übernehmen. Für weniger Geld. Die würden einander doch auch gratis töten. In ihrem Krieg

„Ja, wissen Sie es denn nicht“, fragte der Geschäftsmann und schüttete sich eine Faust Erdnüsse in den Mund: „Längst probiert – kein Vergleich. Lauter Dilettanten. Nein, Weißglut, wenn es ums Morden geht, sind unsere Leute, sind Sie, Weißglut, unersetzbar.“

Schon am selben Abend stürzte ein Kronleuchter auf einen nicht unbekannten Journalisten.

Spät kehrte Weißglut an diesemTag heim. Er grüßte den Nachbarn freundlich. Er brachte die Buben ins Bett. Er küsste seine Frau noch inniglicher als sonst.

[kolik 78]