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Mario Wurmitzer

Katharina und Max erklären ihre Abwendung von der Gegenwartskunst und ihre Hinwendung zu Mittelalterfesten

Katharina und ich haben im Sandkasten zueinander gefunden. Wir sind reglos dagesessen, während die anderen Kinder uns mit kleinen Plastikschaufeln geschlagen haben. Das hat uns verbunden.

Max und ich haben bereits in der Schule an unseren ersten Kunstprojekten gearbeitet, die vor allem von unserer Deutschlehrerin nicht geschätzt wurden. Ein trojanisches Pferd, das wir aus Streichhölzern gebastelt hatten, vernichtete sie, indem sie ein Buch über Popkultur darauf fallen ließ.

Katharina und ich bemerkten schon vor längerer Zeit, nicht mehr imstande zu sein, ohne ironische Distanz über unsere Gefühle zu sprechen. Wenn wir beispielsweise Sehnsucht sagen, dann lachen wir hysterisch, weil dieses Wort uns so fremd erscheint. Wenn wir Romane lesen, ärgern wir uns, dass darin so viel über Markenartikel und Alkoholexzesse geschrieben steht, befürchten jedoch, etwas anderes nicht verstehen zu können. Wir wünschen uns Wegweiser für unsere Innenwelten, wenngleich wir nicht wissen, ob in uns überhaupt irgendwas ist.

Max und ich arbeiteten tagsüber im Zirkus als Clowns, nachts malten/schrieben/ rauchten/soffen wir. Manchmal mussten wir auch Eintrittskarten verkaufen, denn es wurde nicht bei allen Vorstellungen dieselbe Anzahl an Clowns gebraucht. Wenn wir jemandem, der vom Fach war, unsere Bilder/Texte/Clownerien zeigten, dann sagten die oft etwas wie Ja, das ist gut, aber warum ist es nicht etwas mehr revolutionär? Wir redeten uns in diesem Fall auf unsere Gefühllosigkeit aus, was meistens gut nachvollzogen werden konnte. Max und ich waren überzeugt, es wäre schön, wenn wir ab und zu eine ehrliche Empfindung hätten. Max und ich erkannten, wie schwierig das werden würde.

Katharina und ich beschlossen irgendwann im Frühling, uns weniger auf unser künstlerisches Schaffen und mehr auf die Veranstaltung von Mittelalterfesten zu konzentrieren. Katharina sagte, aus antimodernen Veranstaltungen lasse sich si- cherlich finanzieller Gewinn schlagen. Unser erstes Mittelalterfest veranstalteten wir unter dem Motto Scheiß auf die Gegenwart.

Max und ich kauften uns einen Falken, der sich aber nicht so verhielt, wie wir es ihm befahlen.

Katharina und ich werben für unsere Mittelalterfeste. Wir wollen ein großes Publikum erreichen. Ich gehe mehrmals täglich mit einer Rüstung durch die Stadt und verteile Flyer. Katharina singt in Bahnhofsgebäuden von den Freuden des mittelalterlichen Lebens. Katharina und ich verschweigen, was uns am Mittelalter nicht behagt. Wir liefern den Menschen die Geborgenheit einer idealisierten Gegenwelt. Die Moderne ist unverständlich und brüchig, und wir wurden künstlerisch nicht mit ihr fertig, das Mittelalter hingegen befriedigt uns vollkommen.

Max und ich wissen, was schlecht fürs Geschäft ist: zum Beispiel schlechte Werbung, Konkurrenz und Streit zwischen uns. Weil wir unsere Mittelalterfeste nicht in Gefahr bringen wollen, bemühen wir uns um zwischenmenschliche Harmonie. Max und ich haben erkannt, dass es für Individuen wie uns schwierig ist, Kunst zu produzieren, es uns aber gut gelingt, mittelalterliche Idyllen zu inszenieren.

Katharina und ich geben uns mit Festen im kleinen Rahmen, die nur eingeschworene Mittelalterbegeisterte anlocken, nicht zufrieden. Wir träumen von Mittelalterfestspielen im Herzen aller großen europäischen Städte. Katharina und ich haben bereits diverse Stadtverwaltungen kontaktiert und stießen auf viel Unverständnis, aber wir lassen uns davon nicht entmutigen.

Max und ich mussten bei einem von uns veranstalteten Schaukampf erleben, wie ein Akteur plötzlich die Kontrolle über sich verlor und seinen Gegner krankenhausreif prügelte. Wir sind froh, dass dieser Zwischenfall das Publikum anscheinend nicht nachhaltig verschreckt hat. Der Zulauf zu unseren Festen ist weiterhin groß.

Katharina und ich werden, seit wir als erfolgreiche Unternehmer gelten, häufig gelobt. Wir denken nur mehr sehr selten daran, mit ehrlichen Gefühlen nichts anfangen zu können. Wir haben jetzt viel Geld, womit wir uns neue Rüstungen, Schwerter und Lanzen besorgen. Katharina und ich sind stolz auf unsere Waffenkammer.

[kolik 63]