bestellen

Lydia Mischkulnig

Versuch

1 Über das weibliche Schreiben

Es gibt keine weibliche Ästhetik, oder gar eine männliche, es gibt höchstens einen Geschlechtstrieb, der sich in Perspektivik auswächst.
Als würfe ich einen Blick in die eingeleitete Zukunft, die ein norahaftes Ende bedeutete, schreckte ich vor meiner Wohnung zurück, da ich in ihr das gerade gesehene Bühnenbild der modernisierten Fassung einer Berliner „Nora oder ein Puppenheim“ wiederzuerkennen vermeinte, obwohl ich im Publikumsraum keinen Verdacht geschöpft hatte, eine Nora, ihr Hausfreund, eines ihrer Kinder, ihr Kindermädchen, ihr Erpresser, ihr Thorwald, ihre Frau Linde oder auch nur ihre Vorlage zu diesem Stück zu sein, das Ibsen geschrieben hat, weil er eine Schriftstellerin gekannt hat, der das gleiche wie der Nora passiert sein soll, nämlich einem Irrtum aufgesessen zu sein. Nicht einmal den auf der Bühne stehenden Hocker aus der Barcelonagruppe hatte ich auf mich gemünzt gesehen, obwohl mich nun das gleiche Möbelstück mit seinen aluminiumblitzenden Schwungbeinen im Flackerlicht anfunkelte.
Wieso bemerkte ich nicht eher, daß in dieser Wohnung der gleiche Stuhl aus der Barcelonagruppe herumstand, der gleiche Kasten, der gleiche Teppich, dieselben Nippes aus der Bauhaustruppe, mit der ich hier meine Familie eingerichtet habe, als hätten uns die Bundestheaterwerkstätten mit der Möblage und den Nippes, nach den Entwürfen eines postmodernistischen Bühnenbildners für eine frauenpolitisch rückschrittliche Regierung, ausgestattet. Schluckend trat ich über die Schwelle und ging schnurstracks über die Bretter in die Wohnung, also in meine Zukunft, die durch die Einhaltung des Finanzierungsplanes unter Zurückzahlung des Kredits auch mein Alter besiegeln würde, solange ich durchhalte oder wir durchhalten – denn die Liebe ist zu einem Zusammenhalten, zu einer Art Widerstand gegen den Konsum, gegen die Verlockungen der Wirtschaft, schlicht gegen den Befreiungsfrust geworden, der sich nach Jahren angeblich erfolgter Emanzipation einstellt. In meinen Existenzraum, in dem und aus dem heraus ich meine Sprache entwickle, um Nora nicht als Püppchen, sondern als lebenslügenaufdeckerische Selbsterkennerin darzustellen, wäre ich auch bereit, mir meine eigenen Irrtümer vor Augen zu führen. Mich hinsetzend und den Aufsatz über das weibliche Schreiben beginnend und nach Wochen der vergeblichen Versuche, einen wie immer gearteten Beitrag über weibliches und männliches Schreiben zu leisten und ergo Ästhetiken wohl auch mit Ethiken zu vergleichen, hinschmeißend, versuchte ich, es auf den Punkt zu bringen, daß es mir nicht möglich ist, weibliches Schreiben über weibliches Schreiben zu veranstalten, da ich den Standpunkt vertrete, es gibt nur gute Literatur – und darüber, was gut ist und was nicht gut ist, wage ich nicht zu urteilen, da es für mich nur einen Weg gibt: durch Schreiben besser zu schreiben, im Sinne von genauer zu werden, mit semantischer Vielschichtigkeit etwas klarer zu machen – bloß was …
In meinem Schreiben über weibliches Schreiben wollte ich den Standpunkt vertreten, daß weibliches Schreiben existiere, weil weibliches Schreiben durch das Schreiben von Frauen existiere, und das meine ich auch, daß dieses Schreiben von Frauen wie das Schreiben von Männern, wie das Schreiben von Trans- und Cissexuellen im Bauch der Literatur inkorporiert ist und daß Literatur eine bis zum äußersten Ausmaß mit Bedeutung aufgeladenen Worten Inhalt transportierende Rhythmik ist, nämlich gesungenes Denken und Nachdenken ist – und was gedacht wird und wie gedacht wird, ist von der Zeit abhängig und verändert sich. Grenzen werden verschoben und hinausgeschoben, um eines Tages zu einer Sprache der Selbstbehauptung zu gelangen? Um zu einer Sprache zu gelangen, in der wir verstehen, was wir verstehen könnten? In der wir uns verwirklichen könnten? Ist weibliches Schreiben ein Teil der Utopie, dieser Spracherarbeitung? Gewiß, wenn es helfe, die Ästhetik für Verstehen zu entwickeln. Ich versucht während des Schreibens über das weibliche Schreiben eine Art Selbstunterwerfung zu betreiben und eine weibliche Ästhetik zu erpressen, weil ich ja eine Schreibende bin, um mich in einen Literaturcorpus zu inkorporieren, indem ich mich exkorporierte. Dabei will ich mich verwirklichen, und das bedeutet, subjektive Authentizität zu entwickeln, und die lässt sich nicht eingemeinden in einen Literatursack. Nieder mit dem weiblichen Schreiben, welches eine männliche Konstruktion ist, die von der weiblichen Konstruktion übernommen ist, und sich prächtig fügt in die Diskriminierungsnische, weibliches Schreiben sei auch Literatur. Während des Schreibhergangs einer Art Selbstunterwerfung ausgeliefert, stopfte ich mich in den Literaturkörper, nach dem Uterus suchend – entzog mich aber durch das Schreiben und behaupte, daß das Schreiben eine Art Spirale darstellt, mit deren Hilfe man dem Irrsinn, sich Kategorisierungen und Normen zu unterwerfen, entkommen kann. Lieber bin ich allein und im frostigen Freien, als vom Grauen, dieser verworrenen, sexistisch, rassistisch, religiös, faschistisch aufgeladenen uteralen Minotaurus-Norm, verschlungen zu werden.
Jedenfalls kann gesagt werden, daß ohne feministische Emanzipation überhaupt keine Emanzipation existiert, und wo Selbstbehauptung nicht zugelassen ist, sind Enthauptungen an der Tagesordnung und damit es soweit nicht kommt, muß die Emanzipation vorangetrieben werden, und damit das Schreiben von Individuen.

(Ausschnitt)

[kolik 29]