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Margit Schreiner

Alles ist lächerlich

Alles ist lächerlich I

Wie immer hängt alles zusammen

Auch auf die Gefahr hin, offene Türen einzurennen, muss es gesagt werden: Die Komödie ist nicht ohne die Tragödie zu behandeln. Eine Abhandlung über die Komödie schließt eine Abhandlung über die Tragödie ein, jede Anmerkung über das Komische die des Tragischen. Ich werde mich hier nicht mit einer Definition der Begriffe aufhalten. Das habe ich leider – um nicht allzu salopp tragischerweise zu sagen – während meines Germanistikstudiums betrieben, weshalb ich kaum je über die Absicherung der Definitionen hinaus bis zu einem eigenen Gedanken kam. Ich gehe davon aus, wir alle wissen, was komisch und was tragisch ist. (Oder zumindest, wann wir weinen und wann wir lachen.) Oder? Na ja, es kommt wohl letztlich auf den Standpunkt an.
Über die Tragödie zu sprechen hieße, das Komische von seiner tragischen Seite her zu beleuchten, über die Komödie zu sprechen heißt, die Tragödie von der komischen Seite her aufzurollen.

Sprechen wir also von der Komödie.
Die großen Themen der Literatur sind: Liebe, Tod, Altern. Und alles, was damit zusammenhängt. Alles ist ernst, wenn man an das Leben denkt. Die Anstrengung des Komikers ist es, diesem Tragischen das Komische abzugewinnen. Insofern ist der Komiker der Pessimist. Seine Weltsicht ist eine tragische. Der tragische Autor hingegen ist der Optimist. Seine Weltsicht hält dem Tragischen stand. In der Regel glaubt er an Veränderungen.
Der Pessimist, der nicht an Veränderungen glaubt, hat keine andere Wahl, als dem absolut Tragischen, das unentwegt, unbelehrbar und ohne Sinn und Zweck passiert, das Komische abzugewinnen, wenn er nicht verrückt werden will. Man kann übrigens auch am Optimismus wahnsinnig werden, wie das Schicksal vieler großer Tragiker zeigt (Hölderlin zum Beispiel).
Aus Gründen der erzieherischen Funktion wurden von Humanismus und Pädagogik immer die Tragödie der Komödie vorgezogen. Das war schon in der Schule so. Ich erinnere mich, dass im Gymnasium die lustigen Aufsätze vorgelesen wurden, aber die tragischen Aufsätze erschienen dann in der Schulzeitung. Kein Mitschüler oder Lehrer, der über meine Aufsätze in der Schule Tränen gelacht hat, wäre auf die Idee gekommen, dass ich je Schriftsteller werden könnte. Auch die Germanistik als moralische Anstalt hat das übernommen: Die Katharsis durch das Tragische ist das moralische Ziel.
Das reicht bis Woody Allen, der am liebsten Ingmar Bergman wäre.
Wie Woody Allen zieht auch der Philosoph die Tragödie der Komödie vor. Das mag unter anderem daran liegen, dass die Tragödie staatstragend ist oder sein kann, auch gesellschaftskritisch in ernst zu nehmendem Ausmaße, weshalb sie auch von den Ideologen vorgezogen wird. Die Komödie hat Marx schon ein wenig verächtlich dem Ancien Régime zugeordnet, dessen lächerliche Protagonisten lediglich die Funktion haben, uns den Abschied von ihnen zu erleichtern. Das hieße nicht nur, sondern heißt: Über einen aufrechten Arbeiter lacht man nicht! Auch eigentlich nicht über einen braven arbeitenden Familienvater oder eine tapfere Ehefrau und Arbeiterin. Die eben genannten Personen sind Helden der Zukunft. Und damit tragödienwürdig. Würdig, sich aufzuopfern. Und aufgeopfert zu werden.
Alles ist lächerlich. Und der Komiker sagt: Dies ist unsere Erbärmlichkeit. Lacht, wenn ihr könnt, lacht! Ich sagte vorhin: Die Anstrengung des Komikers ist es, dem Tragischen das Komische abzugewinnen. Unternimmt er diese Anstrengung nicht, wird er zum Zyniker und ist damit literarisch uninteressant. Dem Zyniker fehlt das Gefühl fürs Tragische, das aber Voraussetzung fürs Komische ist. Ich habe den Verdacht, ihn speist eher Selbstmitleid. Ebenso gibt es das Tragische, dem jedes Element des Komischen fehlt, nicht als Literatur. Ich würde es so wie das Produkt des Zynikers eher als Protokoll bezeichnen. Ich meine das nicht moralisch, sondern literarisch.
Beispiel fürs nur Tragische: Günter Steffens Roman „Die Annäherung an das Glück“ (Kiepenheuer &Witsch 1976), eine vollkommen untröstliche, tragische Geschichte von Krankheit und Tod über die Krebserkrankung und den Tod seiner Frau. (Oder auch „Mars“von Fritz Zorn, 1977)

Beispiel für’s nur Komische: Als meine Tochter klein war, hat sie oft mit ihrer Freundin Theatervorstellungen für uns inszeniert. Wir – die Erwachsenen – mussten uns in Reihen hintereinander hinsetzen und die beiden schubsten sich gegenseitig an, bis eine auf den Boden fiel. Wozu beide sehr lachten. Manchmal ließen sie sich auch einfach so fallen. Das war schon lustig, aber auch durch die vollständige Privatisierung des Themas ähnlich langweilig wie beispielsweise die Millowitschbühne, die übrigens unzählige Truppeneinheiten im Zweiten Weltkrieg gar nicht gelangweilt, sondern aufgeheitert und von der Metzelei des Krieges abgelenkt hat, was ja dann auch wieder unter anderem dazu führte, dass die Komödie, wenn sie keine gesellschaftskritische Rolle im Sinne Marxens oder Brechts spielte, gerade nach dem Krieg argwöhnisch betrachtet wurde.
Bevor es jetzt wieder zu einer Begriffsverwirrung kommt – ich kenne das Problem schon von der Anthologie „Verstehen Frauen Spaß“, bei der ich mit einem Beitrag vertreten war und anhand derer sich die Frage stellte, was hat nun eigentlich Witz mit Ironie, Ironie mit Spaß und dieser mit Komik und dem Komischen und das alles überhaupt mit der Komödie zu tun –, die ungarische Philosophin Agnes Heller:
„Es gibt eine Familie, die man als Komik bezeichnen kann: Komödie, Groteske, Ironie, Humor, Witz und so viel anderes. Es gibt Differenzierungen in allen Mitgliedern dieser Familie. Das Gemeinsame ist, dass Komik zum Alltagsleben gehört. Deswegen ist die Komödie so interessant im Gegensatz zur Tragödie.“ (Aus einem Interview der Zeitung „Freitag“ aus dem Jahre 2001)
Uns interessiert der Alltag, keine Frage. Der Alltag der Liebe oder Lieblosigkeit, der Gewalt, des Krieges, des KZs. Die großen Fragen „woher, wohin und warum“ lassen wir ruhig unbeantwortbar, wie sie sind. Deshalb wird auch das Theater privater. So privat, dass beinahe zwei Personen schon zu viel sind. Als wäre das bereits eine Versammlung. Eine Gesellschaft. Unser Theater neigt zum Monolog. In die Monologe, die hörbare innere Monologe sind, oder in die Dialoge, die nichts als parallel laufende innere Monologe sind, werden die großen Probleme der Tragödie hineinverlegt: Treue, Krieg, Gewalt, Opferbereitschaft, Hass, Liebe, Verrat. Wenn das alles nicht bloß ökonomische Wurzeln hat. Welches Theater, außer vielleicht das Burgtheater oder die Salzburger Festspiele, könnte sich schon Stücke mit 50 oder 60 Schauspielern leisten? Und es soll ja auch der Chor im griechischen Theater schließlich aus finanziellen Gründen von einem Schauspieler ersetzt worden sein. Sarah Kane hat ihre mit höchstens sieben Schauspielern zu besetzenden Stücke auf der 60-Plätze-Studiobühne des Londoner Royal Court Theatre uraufgeführt.

„Ist es eine Tragödie? Ist es eine Komödie?“ lautet der Titel einer Erzählung von Thomas Bernhard. Es kommt eben, wie bereits erwähnt, durchaus auf den Standpunkt an. Nehmen wir nur einmal Imre Kertész, der schon einer meiner Lieblingsautoren war, als er in Linz noch vor gezählten sechs Zuhörern (inklusive Einladenden) las. Mit seinem „Roman eines Schicksallosen“ hat er erst endgültig den längst widerlegten, aber doch bis Kertész noch wirksamen Satz Adornos „Kein Gedicht nach Auschwitz“ dadurch widerlegt, dass er als selbst Betroffener einen komischen Roman über Auschwitz schrieb. Alles ist lächerlich. Besonders der Überlebenswille des Menschen. Indem er zum Beispiel auch unter den Bedingungen des Totalitarismus am Leben hängt, trägt er, laut einer Eintragung von Imre Kertész in sein Galeerentagebuch, mit dieser Wesenheit zum Erhalt des Totalitarismus bei: Das ist der einfache Trick der Organisation. Der Jude, der aus Überlebenswille nicht das Undenkbare denken möchte, nämlich, dass ein selbst ernannter Übermensch ihn vernichtet mit Haut und Haar, wird gerade aus diesem Grund vernichtet. Alles ist lächerlich. Eine Erkenntnis. Auch das. Es kommt nur auf den Standpunkt an. Und auf den, der den Standpunkt einnimmt. Der SS-Scherge, der den Juden, den er vernichtet, lächerlich findet, offenbart damit nur die Beschaffenheit einer Mörderseele, die immer aus fehlendem Einfühlungsvermögen in einen anderen besteht.
Also zählt doch die Moral? Ich meine: Ja. Denn sie ist affirmativ, die Literatur! Sie schließt die Bejahung des Lebens ein. Neulich hab ich in einem Text von Karl-Markus Gauß im Radio zu meiner Verwunderung seine Kritik an den alten Pessimisten, Gauß sagte „Grantler“, Cioran und Thomas Bernhard vernommen. Seither denke ich drüber nach. Hat meine kleine letzte Reserve diesen beiden großen Meistern gegenüber damit zu tun? Sind sie doch Zyniker? Wischen sie letztlich über unsere Probleme hinweg? Das heißt, es fehlte ihnen an Affirmation, an Liebe, die nun eben immer eine konkrete Liebe ist?

Würde der SS-Scherge nun hingehen, sein Schicksal auf sich nehmen und nun, im Nachhinein sein fehlendes Einfühlungsvermögen in den Juden, den er getötet hat oder töten wollte oder dessen Tod er gebilligt oder hingenommen hat, analysieren, könnte er uns etwas mitteilen über das immer Unfassbare, Dunkle in uns.
„Ein authentischer Ton kommt dagegen immer aus der Schwere des Schicksals, von einem vom Schicksal Heimgesuchten und nicht von einem, der zwischen Schicksalen wählt“(„Galeerentagebuch“, S. 39).
Das macht auch den authentischen Ton Thomas Bernhards, der genau das auch weiß und sagt: „Meine Krankheit ist mein Kapital.“
Wieso dann aber „Roman eines Schicksallosen“? Denn gerade durch die Ablehnung des Schicksalsbegriffes in seinem Auschwitz-Roman entthront Kertész – und nicht nur er – ja die Tragödie.
Der 16-jährige Ich-Erzähler im Roman hat eine 15-jährige jüdische Freundin, die im selben Haus wohnt. Bevor sie beide deportiert werden, unterhalten sie sich noch einmal. Das jüdische Mädchen weint, weil der Ich-Erzähler sagt, dass die Juden nichts Besonderes seien, sondern so wie alle anderen. Das Mädchen weint, weil dann ja alles nicht einmal Schicksal ist, sondern nichts als ein Zufall. Das Schicksal ist also wie die Literatur und das Theater selbst vom Allgemeinen ins Private gerutscht, es hat sich individualisiert. Was mein Schicksal ist, bestimme ich selbst. Ein mörderisches Unterfangen bei dem Maß an Fremdbestimmung, dem wir alle heute ausgesetzt sind.
Hat so die Tragödie wieder ihren Platz gewonnen? Im Herzen des einzelnen Menschen sozusagen?

(Auszug)

[kolik 22]