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nachdem ich sehr früh aus einem ekelhaften traum erwache, denke ich kurz über den langen zug nach – er ähnelt einer abgottschlange – und drehe mich dann auf die andere seite des bettes. meine augendeckel bewegen sich noch sehr vorsichtig, denn die ersten lichtstrahlen sind nie wohltuend. sie ist nicht da; ich nehme an, dass sie früher als üblich weggegangen ist. die uhr steht aber zu weit, und ich kann die verbrauchte zeit nicht ablesen. nach dem gedanken, dass es vielleicht doch nicht so früh ist, überflutet mich ein plötzliches schamgefühl. ich versuche, mich zu konzentrieren, denn ich hoffe, dass mir die umgebung etwas verraten wird. ich höre aber nichts. nachdem ich kurz überlege, was zu tun ist, entscheide ich noch zu warten, um einer möglichen konfrontation mit weiteren schamgefühlen zu entweichen. ich versuche, die bücher im regal zu identifizieren. das gelingt mir aber nicht, denn die gedichtbände sind zu dünn und kaum zu unterscheiden. als ich meinen blick auf eine pflanze richte – sie wächst neben dem fernseher –, höre ich, wie sie im wintergarten das fenster aufmacht. gestern war ein feiertag und sie hat auch heute einen freien tag genommen. ich kann mich aber nicht erinnern, wann sie das letzte mal ihren ersten kaffee so leise getrunken hat.
Denis Mikan – Wien, Kaiserstraße – 27. 10. 2000 14:11

perspektiven

worte
lautlos
in den morgen geboren
oder rippen die
aus der nacht brachen
sie begleiten uns
auf dem tagfremden
meer

wir sprechen
von gegenzeit,
antimaterie,
traumhaftem und doch
nie geträumtem:
von blauroten fässern
auf unserm wortschiff,
das sich neufundland
nähert

(ich nehm dich nicht
wahr, ich nehme dich
wahr, wie du bist, und
wir warten, bis uns
der morgen die stirn
eindrückt)

im logbuch:

Wir finden zu uns
in Erwartung
der Meerenge
Robert Kleindienst – Salzburg – 19. 11. 2000 19:38

Ich wache in den frühen Morgenstunden auf, weil ich im Schlaf würgen muß, mir ist übel, mir graust massiv … ich glaube in meinem Mund alle Zähne eingeschlagen, zertrümmert, Blut und geronnenes Blut, Gallertartiges … ZEUG … widerwärtig. Dunkel erinnere ich mich an einen Traum, in dem ich mit zwei anderen in einem weißen Ford Transit sitze, und es ist kalt und wird noch kälter, beginnt zu schneien. Kaum traue ich mich, meinen Mund zu öffnen, da doch mein gesamtes Gebiß verwüstet, und wenn ich meinen Mund aufmache, dann werde ich kalte Masse darin wahrnehmen, die nicht zu meinem Körper gehört und die ich mit meiner Zunge nicht aus dem Mund befördern kann, da es schmerzt, und unter keinen Umständen darf ich den Mund öffnen, sonst werde ich kotzen müssen, und das wird alles noch verschlimmern. Bald schlafe ich wieder ein und denke noch daran, daß ich meine Zahnärztin anrufen könnte, die soll sich darum kümmern, zu retten ist da wahrscheinlich nicht mehr viel, aber einfach die Trümmer entsorgen. Ein paar Stunden später: munter geworden – ich stehe auf und habe ein komisches Gefühl im Mund. Sind meine Zähne mit irgendwas verkrustet? Ich öffne meinen Mund, probeweise, und atme durch den Mund ein und aus. Wahrscheinlich habe ich einen absolut grauenhaften Mundgeruch, ich kann es ja fast selbst schmecken … im Spiegel ist nichts zu sehen von etwaigen Schäden. Alles in bester Ordnung, abgesehen davon, daß ich ein absolut intensives Déjà-vu-Gefühl verspüre, und beim besten Willen kann ich nicht sagen, wann, aber doch, verdammt, da war doch was, als ich über dem Waschbecken bei fließendem Wasser versuchte, mit einem Schraubenzieher durchsichtige Krusten von meinen Zahnreihen zu brechen? Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich mir da was einbilde oder mich an was absolut Schauriges nicht mehr ganz klar erinnern kann.
Elisabeth Rötsch – Wien, Badezimmer – 2. 12. 2000 21:51

ComicHeldenWelt
Frühmorgens geht man aus Müdigkeit grob mit dem Körper um, behandelt die Gliedmaßen in der Badewanne wie die eines Gelähmten: Man kann keine Sympathie mit den eigenen Beinen heucheln, insbesondere, während man sie einseift und abspült mit der Routine eines Leichenwäschers, und irgendwann denkt man an die Cartoons, in denen der schlafende ComicHeld durch einen ausgetüftelten Mechanismus geweckt, gewaschen und getrocknet wird, und man wünscht sich so eine Maschine, und man wünscht sich, so ein ComicHeld zu sein, dessen Körper keine ständige Überarbeitung beinhaltet, man wünscht sich die Sprechblasen, diese autogenen Mitteilungsterritorien, und man wünscht sich, nur noch in diesem seltsamen, abgeschnittenen Infinitiv sprechen zu können, in der Redeform der ehesten Gegenwart, oder woundwannimmermöglich: „---“
Xaver Bayer – Wien – 20. 7. 2001

Das jähe Aufwachen am Morgen, vor der Zeit, und das schemenhafte Erinnern an die Träume und, schließlich, ihr Vergessen.
Der Geschmack deines Atems, der Belag an den Zähnen, den du erfolglos mit der Zunge abzureiben versuchst, und die trockenen Speichelreste auf den Lippen, besonders in den Mundwinkeln.
Das ängstliche Zurückblicken an den letzten Tag, und an den Fingern das Abzählen der Stunden im Bett.
Das erste spürbare Zeichen des Wachseins: Der Herzschlag.
Das Unvermögen, weiter zu schlafen, und die Unmöglichkeit, aus dem Bett zu steigen.
Das Gähnen und die Wunde, der feine Riss, im Mundwinkel, der aufbricht, mit den trockenen Lippen.
Nach dem Aufstehen das Frühstück.
Der jedes Mal aufs Neue stechende Schmerz im Magen beim ersten Schluck Kaffee, den du ohne Milch trinkst und viel zu süß.
Das Gesicht nach dem Aufstehen.
Die striemenartigen Abdrücke des Polsters in deinem Gesicht. Das stumpfe Rot in deinen Augen und die abstehenden Haare.
Der Schatten des Bartes.
Die Müdigkeit in den Gesichtern der Fremden.
Die eigene Müdigkeit.
Die Müdigkeit in deinem eigenen Gesicht.
Otto Tremetzberger – Linz – 20. 2. 2001 19:21

er nimmt einen kleinen schwarzen chanel-spiegel zur hand und betrachtet sich durch den kleinen im großen spiegel. er wirkt verstört. schon seit langem betrachtete er sich nicht mehr seitlich. Er entdeckt die angewachsenen augenlider, die tränensäcke, die ihm bei seitlicher betrachtung nahezu fast aus dem gesicht springen. auch das schütter werdende haar – in der frontalen kaum sichtbar – schlägt total durch. das kommt gut. früher, früher ist für ihn das gefühl wie ein alter text, aus dem er kaum noch einen satz weiß, aber sich noch immer sehr gut an das gefühl erinnern kann, welches er zu dieser zeit um sich hüllte, und an das parfum, welches der text absondern sollte – smells like … früher also, gingen seine haare manchmal wie ein hefeteig auf, doch heute liegen sie angenehm an. dennoch, irritation bleibt irritation, zumal es ihn peinlich berührt, wenn er sich durch den zweiten spiegel selbst betrachtet, blickkontakt mit der person im ersten spiegel aufnimmt, ihn aufs charmeloseste beobachtet. ein direkter blick in den kleinen spiegel, und er schreckt zusammen. die person im ersten spiegel, sein gegenüber, hat ihn entdeckt, und kann nun selbst nicht ablassen, ihn anzustarren. sein gegenüber bewegt die lippen, lacht kurz. eine spur peinlichkeit liegt in der luft. jeder tag ist zahltag, weißt du doch … schau dich doch nochmals an … na ja, wenigstens schaust verlebt aus, hast also gelebt … keine kummerfältchen, keine „ich hab das und das nicht dürfen“-falten … vielleicht nicht immer glücklich, glücksfalten sind keine dabei … er fühlt sich, so wie auf trip, außerhalb von sich, und doch schaut er seinem leben ins gesicht, gnadenlos. noch ein kurzer blick auf die tränensäcke und das knapp anliegende haar. er legt sein gegenüber schlafen, auf unbestimmte zeit. er schiebt die puderdose in den alibert zurück, im kopf onkel lous „like a possum“. auch eine möglichkeit.
Martin G. Wanko – Graz – 16. 12. 2000 21:41

[Q wie Quäker, Qual, Quickstep. Q wie Q.]
Erschrocken, aber eigentlich nicht überrascht, denkt er bei sich: wie einsam er aussieht. So präsentiert es sich ihm beim Blick in den annähernd blinden Spiegel. Er erscheint sich selbst verzerrt, fast ein bißchen vage, vielleicht sogar verschwommen. Die gierige Einsamkeit, ein Dämon, der nach Bekanntschaften verlangt, die er ZERMALMEN kann. Denn der Dämon müßte sich sonst selbst zerfleischen, und so findet er sich eine passable Alternative. Ist uns erst einmal jemand NAHE, so ist es dem Dämon auch schon wieder zu nahe; und somit auch vollkommen wertlos. Denn in dem Maß, in dem die Vorstellung gegen die Realität eingetauscht wird, überkommt ihn der Ekel und die Abscheu. Und gar nicht nur vor den Bekanntschaften, NEIN: vor allem vor ihm selbst und dem Dämon, den er birgt. Die Einsamkeit ist ein Monster, das gefüttert werden will – das gefüttert werden muß. Die Bestie scheint Geschmack an seinem Leid gefunden zu haben, und so zehrt sie an ihm, höhlt ihn AUS. In einer Verzweiflungstat sich schließlich unter Mühen aufschlitzen, das Blut ignorieren, das Fleisch beiseite drängen: UND in sich hineingreifen. Die Einsamkeit aus sich herauszerren, ihr ins gierige Angesicht starren und erschrocken sein, das eigene Gesicht darin wiederzufinden. Erschrocken, aber eigentlich: nicht überrascht.
Thomas Ballhausen – Wien, am Grund des Brunnens – 21. 1. 2001 00:03

voll mit salben lagst
du kaltgestellte miene
ansonsten williger gestalt
für gefässe und bestecke
gestiegen aus dem nachtfahl
und gerecht verschwiegen
nicht über schatten gewandet,
wie früh am mond zur stund
splitternackt verschnitten:
zwei seiten beugen sich über
brückend ein paar glühende
wölkchen fassen aus
dein glück und gewaschen
prächtiges haarkleid –
gewünscht den dreck, der
hinterrücks am spieglein
ruht, was falsch daran
bald albern gebogen in
herz und zunder sinkt.
Thomas Schönher – Ibk – 16. 12. 2001 18:46

Morgens bist Du immer mißmutig und schlecht gelaunt. Du willst mit niemandem sprechen, einfach in Ruhe gelassen werden, während Du langsam erwachst, bringe ich Dir eine Tasse Kaffee ans Bett und halte sie Dir kurz unter die Nase, nur so, daß Du es weißt, verschwinde ich wieder, und Du fragst Dich, woher diese Laune kommt, kann ich nicht sagen. In Deinem Zimmer läuft die ganze Nacht der Computer, ständig online, kontrollierst Du auch gleich Deine E-Mails und hältst Dir mit einem Finger das Ohr zu und räusperst Dich laut. Nebenher trinkst Du den Kaffee. Zigaretten rauchst Du so früh morgens noch keine, spülst nur den Mund mit grünem Anti-zahnbelagmittel. Dabei zapple ich schon die ganze Zeit unruhevoll neben Dir her, so lange, bis auch Dich meine Betriebsamkeit packt, und dann laufen wir beide auf und ab und hin und her und vor dem Abschließen noch einmal zurück in die Wohnung, um das letzte zu holen, bevor es bergab geht, im Lift, stimmen wir unseren Tag aufeinander ab. Im Winter, wenn ich Dich hasse, heizt Du die Küche mit dem Elektrobackrohr und läßt beim Abwasch das Warmwasser stundenlang laufen. Ich sage: Das zahle ich nicht, und Du antwortest nur: Don’t shit your pants. Wenn ich verkühlt bin und huste, wendest Du Dich angewidert ab, bevor Du behauptest, ich könnte einfach aufhören damit.
Stefan Schuster – Berlin – 24. 5. 2001 21:42

den ganzen vormittag lang hatten wir auf wellen gewettet und waren mittags schon müde, während sich mein dummer bruder gross fühlte, hatte er doch im gegenzug den ganzen vormittag lang den wellen befohlen, zum strand zu kommen und damit immer erfolg gehabt.
Kathrin Resetarits – Wien – 17. 2. 2001 19:22

Am Weg aus Las Cruces in die Wueste hinaus, durch die Macchie und die windverblasenen tumble weeds zum Tortugas Mountain, gleich nach der Highway-Ueberfuehrung, wenn man die Bruecke hinabfaehrt und rechts die Schleife, Zufahrt zur ausserhalb liegenden Spur der Autobahn hat, also vor der letzten ampelgeregelten Kreuzung, wo man ueber Dreck und Sterben, von Reifen plattgewalztes Kleintier, Glas und litter, don’t litter, twenty bucks findet, wo man durch all den Kies und Sand und Abbruch am Bordstein faehrt, eingefegt, hingeweht vom ewigen Wind, der durch die Wueste atmet, kann man neben der Autobahnschleife die Zufahrt sehen: das elegante, langgestreckte, niedrige Stahltor auf Rollen, das immer offensteht, verweht von Treibsand, die Zufahrt zum Parkplatz, und dahinter das Clubgebaeude; ein langgestreckter Zaun, die dirt road entlang, wo ich mich nun in den Rillen der Fahrzeuge vorwaerts kaempfe mit im Grobschotter schwimmendem Vorderrad, dann wieder in Lacken aus Treibsand. Rechts aber, hinter dem Zaun, hinter der Hecke aus windverblasenen, zur Wueste hin gedorrten, nach innen zu aber gruenenden, aufgebundenen Foehrenbaeumchen, erhasche ich einen Blick von den Sprinkleranlagen, den Wasserschlieren, den ausschweifenden Regenboegen, die sich blass im Gegenlicht formen und wieder verlieren, wenn der spruehende Wasserstrahl ueber den versoffenen, aufsaugenden Platz hinfaehrt; Kreise aus Gruen, innerhalb dessen der Wasserschweif schwingt; darueber hinaus aber sofort die Duerre der gelben Grasschoepfe, die sproede verdorren bis zum naechsten Regenfall; dann blueht die Wueste auf.
Martin Kubaczek – Ichikawa-shi, Chiba-ken (Japan) – 2. 1. 2001 14:34

Klarsichtfolie
Heute mittag, als die Sonne auf die auf meinem Schreibtisch liegende Klarsichtfolie schien, wurden auf der Folie plötzlich Zeichen und Wörter sichtbar. Offenbar hatte mir die Folie als Schreibunterlage gedient, und die Wörter hatten sich durchgedrückt. Ich ging zum Fenster, hielt die Folie direkt in die Sonne, drehte sie, bis ich den richtigen Einfallwinkel fand und die Wörter gut lesbar waren.
Folgende zusammenhängende Notizen konnte ich entschlüsseln:
Billa: Klopapier, Käse, Toastbrot, Batterien, Joghurt
Naschmarkt: Tomaten, Fenchel, Erdäpfel, Weinblätter
Oskar anrufen wegen Chelsea Freitag abend!
Gunnarsdottir: Jener Sommer in Island. Suhrkamp? Jeller fragen!
gräßliche Tode: verbrennen, erdrückt werden in dunklem Raum
schöne Tode: im Schlaf ersticken, fallen
unsicher: ertrinken, aufhängen
der Schnee glänzte hell und spiegelte alles in ein weißes, kaltes Licht
Friedrich Rückert u. Aufzeichnungen des Waldschulmeisters v. Rosegger ausleihen
Folgende Notizen konnten nicht mehr in einen Kontext gestellt werden:
Max Frisch/ORF!/Wunsch, umzukehren/guter Sex/Notlandung/Tautologie/berichtet/Staat/Happy together/Tagebuch/der lange Regen/Rapid-Trikot/oft anklagender Ton/einmal das Böse sein/russische Mädels/mit 15 zuhaus weg/erkämpfte Schätze: in Einkaufswagen u. Pappkartons/Jäger mit dem Schießgewehr/gemäße Lebensweise
Peter Landerl – Gründberg OÖ – 15. 2. 2001 19:50

fernsehen 1

die
frau weint der
held schweigt die
frau sagt gehen
sie der held
caroline ich kann
sie doch nicht
zurücklassen so und
geht
Barbara Hundegger – Pradl – 11. 11. 2000 23:05

WIE DAS LEBEN SO SPIELT. Er gewann im Lotto. Er hatte Glück. Dazu kam das Erbe. Seine Eltern waren tot. So ging Nick durch die Stadt. Er war ein Schlendrian. Zum Erbe gehörte die Firma. Sie bestand aus dem dritten Stock eines dreistöckigen Hauses, aus einem langen Gang mit drei tiefen Räumen zu beiden Seiten, weiten Fluchten, wenn die Türen offenstanden, und satten Blumen vor den Fenstern, blau, weil seine Eltern abergläubisch waren. Das Haus war ein Altbau, die Firma war alt. Nick half den Eltern, wo er nur konnte. So erlernte er seinen Beruf, er betreute die Kunden. Er ging in dieser Arbeit auf, danach ging er schwimmen und sank ausgeglichen auf sein Bett. Was für ein Leben, dachte er wieder; er hatte ein Leben, das er genoß. Dann starben die Eltern. Er übernahm ihre Firma, fünf Angestellte, die Firma war klein. Es ging um die Einfuhr von Haushaltsgeräten und Lampen. Sie hielten sich vor allem an die Niederlande, dort hatten die Eltern studiert, und hernach lernten sie einander kennen. Wenn er von der Schule kam, setzte er sich an seinen kleinen Schreibtisch im Zimmer von Evelin Frey und las ihr seine Hausaufgaben vor, die sie gemeinsam lösten, während Frau Frey willig pausierte. Sie kochte Kaffee, es gab eine Küche, und hörte dem strebsamen Knaben zu. Ihre Kollegen nahmen ihn mit, wenn sie in ihrer Freizeit über den See oder ins Weingebiet fuhren. Nick war bald erwachsen. Seine Eltern wirkten älter, als sie waren. Ein Unfall beendete ihr Leben. Nick übernahm wie gesagt den Betrieb, Frau Frey, Frau Loeb, Herr Braun, Herr Spies und Herr Vettori trösteten und stützten ihn. Sie mischten ab und zu im Lotto mit, und Nick gewann. Er beschloß, den Angestellten ihre Freiheiten zu lassen. Tagelang feierten sie seinen Gewinn. Er erhöhte den Lohn. Wann sie wollten, kamen sie und gingen, wann sie wollten. Er mochte diese Leute. Dann und wann bat er den einen oder andern, ihn zum Abendessen zu begleiten. Manches lief schief, vieles ging glatt.
Klaus Händl – Nidau/Port – 24. 10. 2001 01:10

Wir sehen erwachsen aus, wir sehen aus, als wüßten wir, was wir wollen, als hätten wir irgendwo ein Haus oder jeder eine eigene Wohnung, einen Job oder eine Berufung, ein Nachhausekommen mit Aperitif, Martini und einem vollen Anrufbeantworter. Wir sehen aus, als wüßten wir. Draußen donnern die Autos die Straße hinunter. Wir wissen, was Internet und Trance ist, trinken Gin Tonic aus grünen Dosen und rauchen Smart. Wir sehen aus, als hätte der Sommer seine Fortsetzung gefunden.
Rosemarie Poiarkov – Wien – 19. 9. 2001 00:46

Aller Anfang ist mit einer optimistischen Abkehr von jeglicher Realität verbunden, gerade als hoffe man, endlich weich genug geworden zu sein, um die Abscheu willkommen heißen zu können. Jeglicher Form von Hoffnung so sehr entwöhnt, daß man mit allem, was einem begegnet, zufrieden sein müßte. Vielleicht hofft man, die Selbstachtung oder das, was man früher für eine solche gehalten hat, allmählich verloren zu haben. Vielleicht brüstet man sich mit Wahnsinnscontainern wie Toleranz, Ambiguität, dem Ausnahmezustand. Jedenfalls weiß ich, daß man anfangs immer so tut, als lerne man eine Situation vollkommen neu kennen. Von ihren Grundbegriffen her neu. Deswegen fällt es einem leicht, Verrat an der Erinnerung zu begehen. An den eigenen Erinnerungen, die einem plötzlich nebelverhangen vorkommen, zu denen man mit einem Mal nicht verbunden werden will, ringender Hand dagegen wie gegen belehrenden Einfluß, wie gegen besserwisserische Kritik, die einem niemals gegenübertritt, sondern sich von hinten heranmacht, mit kalter enttäuschender Hand auf dem Rücken.
Hanno Millesi – Wien – 1. 3. 2001 23:10

Ein Stück vom Ende der Welt
den Briefen vorausfahren/Bilder überfordern/Erinnerungen erschlagen/Insel der Flucht/es tut weh, es nicht aus sich sprudeln lassen zu können, es schlucken zu müssen/ein Papier schlummert/Bilder der Reise, wuchtig/das Meer liegt nebenan wie ein grosses leeres Bett/Emanzipation mit der Gegenwart/der Vordergrund ist verbrannt, zugebrannt/Vergangenheit/unbedarft davonlaufen/durchs Fenster argumentieren/ein paar Brocken werfen und sehen, was passiert/man fühlt sich beobachtend/dicke, gallige Alltagspuppen/Figuren, nichts als Figuren/die Bilder flackern auf, die Wiesen, die Sonne/und über das Schöne darüber/es passiert ein Gesicht/der Favorit unverhofft, zufällig/Ausstellungen bewältigen/eine Bühne und Etiketten/ohne Parallelverstand unlösbar/es bleibt alles an seiner Stelle/zeitlos
Stephan Keiler – Steyr – 3. 3. 2001 11:48

komme um
schrift in der gasse. natürlich bleibt der konditionierte, deformierte blick an der kleinen tafel des ramschladens hängen: „komme um“. rechts davon eine kleine pappuhr, deren zeiger auf punkt drei gestellt sind. ich bleibe kurz stehen. (kein wunsch.)
Benedikt Ledebur – Wien – 15. 12. 2000 14:37

[kolik 20]