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Bernhard Strobel


Amputation

Sabrina steht vor meiner Haustüre.
Sie hält sich mit einer Hand an dem grünen Gitter fest, klammert drei ihrer Finger um die gewellten Verstrebungen, die im ganzen Haus kleine Quadrate ergeben. Ihre großen Augen schauen mich von unten an. Ich bitte sie herein. Ich höre noch aus einer der oberen Wohnungen einen Hund bellen, als die Tür ins Schloss knallt. Ich frage sie, weshalb sie humpelt. Leck mich, sagt sie. Ich sehe ihr zu, wie sie ihre Sportschuhe auszieht. Sie stellt sie neben das Telefonkästchen auf einen alten Lappen, der für nasse Schuhe gedacht ist. Ich frage sie, ob es draußen regnet. Nein. Warum stellst du dann die Schuhe nicht auf den Teppich, frage ich sie. Sie geht zurück und stellt sie um. Ich überlege kurz, ob ich mich bedanken soll, unterlasse es aber. Ich schalte den Fernseher ab, wo gerade ein WM-Spiel im Gang ist, das ich nebenbei laufen gelassen habe.
Wir gehen in die Küche, um eine zu rauchen. Sie bedient sich aus meiner Packung, ich gebe ihr Feuer. Dann kippe ich das Fenster, ziehe die beinah durchsichtige Gardine vor und zünde mir selbst eine an.
Also, sage ich. Was also, sagt sie. Was willst du, frage ich. Was heißt, was ich will, fragt sie, schaut zum Fenster raus. Weshalb bist du gekommen, frage ich. Ich hieve mich auf die Anrichte, die die ganze Küche, den schmalen Gang ausmacht. Es schaut sehr gelb aus in meiner Küche. Auch die Tapeten sind dunkelgelb. Sie legt ihre Zigarette in dem Aschenbecher ab, beugt sich runter zu einem ihrer Füße und streift den Socken ab. Ein eiterdurchtränkter Verband kommt zum Vorschein, sehr dick, mir wird leicht unwohl bei dem Anblick.
Sie haben mir die Zehe abgenommen, sagt sie. Scheiße, sage ich. Sie greift zu ihrer Zigarette. Mach Musik, sagt sie. Ich gehe ins Wohnzimmer und drehe die Anlage auf, drücke nur auf Track vier und auf Play, weil ich weiß, welche Platte sich darin befindet. Ich höre die ersten paar Sekunden von „Steal my heart away“ im Wohnzimmer und kehre gleich darauf in die Küche zurück, wo Sabrina, den Tschick zwischen ihren Fingern, zu heulen anfängt. Ich hab denen gesagt, die sollen mich in Ruhe lassen. Die sollen mir keinen Verband draufmachen, sagt sie. Dann bin ich heim und hab weiter daran herumgeschnitten. Ich hab nicht aufhören können, sagt sie. Ihre Stimme wechselt wieder in ein Heulen. Jetzt beruhig dich, sage ich. Wer braucht schon seine Zehen. Ich gehe zum Kühlschrank und hole eine Weinflasche heraus. Ein Burgenländer, sage ich. Sie lächelt. Ich sehe sie mir an, mit der Flasche in der Hand. Ihre Brüste wirken schlaff, anders, als ich sie kenne. Es liegt wohl daran, dass sie steht. Ich lasse die Kühlschranktür zufallen, höre auf das Geräusch, dass sie verursacht, dieses dumpfe Zischen. Es erinnert mich jedes Mal an ein technisches Gerät, das in Krankenhäusern verwendet wird oder beim Zahnarzt.
Wie viel hast du diesmal weggeschnitten, frage ich. Weiß nicht, sagt sie. Warum haben sie sie also abgenommen, frage ich. Frag sie doch, diese Arschlöcher, sagt sie. Hast du’s gewollt, frage ich. Sie schaut zu Boden, auf die Asche, die sie verschüttet hat. Sie wischt sie mit dem Fuß mit dem Socken drauf zur Seite. Tschuldigung, sagt sie. War es notwendig, frage ich. Sie gibt keine Antwort, zieht sich den Socken wieder an, hat Mühe, ihn über den Verband zu bringen. Wie hat es ausgeschaut, frage ich, wie hat es ausgeschaut, wie du dort angetanzt bist. Sie dämpft lange die Zigarette aus, obwohl in meinem Aschenbecher ein kleines Hütchen steht, damit man es gerade nicht selber machen muss. Was ist also, frage ich, Weingläser aus einem Schrank holend. Ich muss weit nach hinten greifen, bis ich die Gläser in der Hand halte, die ich will.

(Auszug)

[kolik 19]