bestellen

Margit Schreiner


Gefühle. Ein Monolog.


Abgelehnt hast du das Kind von Anfang an, gib's doch endlich zu. Das ist ja auch der wahre Grund, warum der Bub so an dir hängt. Weil, abgesehen davon, daß jedes Kind sowieso zunächst einmal vor allem an seiner Mutter hängt, hängt der Bub ganz besonders an dir, weil du ihn jahrelang abgelehnt hast. Weil du deine Mutterschaft nicht hast akzeptieren können. Immer wieder hab ich zu dir sagen müssen: Du bist die Mutter, Resi, nicht ich. Wenn's nach dir gegangen wär, dann hätt ich den Buben stillen müssen. Und dann, wenn's dir paßt, kommst du daher und behauptest, ich hätte das Kind nicht wahrgenommen, ich wäre immer nur auf der Couch gelegen und hätte Zeitung gelesen. Das ist nicht wahr, Resi, daß ich das Kind nicht wahrgenommen hab. Aber soll ich vielleicht stundenlang am Tisch sitzen bleiben, nichts tun und warten, ob der Herr Sohn vielleicht noch etwas von mir will? Da leg ich mich lieber auf die Couch und les Zeitung. Er wird schon kommen. Ja, das mußt' halt aushalten, daß der Bub meistens dich will. Du hast ja auch was davon, wenn er dauernd an dir rumhängt. Man kann eben nicht alles haben: Die Liebe und die Bequemlichkeit. Aber so seid ihr. Zuerst das ganze Gerede, ich soll um das Kind kämpfen, Angebote machen, Vorschläge, aber in dem Moment, in dem du weggehst und mich verläßt, ist es selbstverständlich, daß der Bub mit dir geht. Habt's ihr Weiber euch vielleicht schon einmal überlegt, daß damit unser Verhältnis zu unseren Kindern zusammenhängen könnte? Wer setzt sich denn ein für jemanden, den er jederzeit verlieren kann, wenn es der Frau paßt? Wir haben doch keine Chance. Da kann sich die Frau schon einiges leisten, bevor ihr das Kind nicht zugesprochen wird. Da muß sie schon auf den Strich gehen oder Drogen nehmen. Der Mann hingegen braucht nur eine ordentliche Arbeit zu haben, schon heißt's: Der kann sich ja gar nicht um das Kind kümmern, wenn er den ganzen Tag arbeitet. Oder er hat keine Arbeit, dann heißt's: Dem kann das Kind nicht zugesprochen werden, weil er arbeitslos ist. So ist das nämlich. Oder es wird dem Mann das Kind nicht zugesprochen, weil er eine Freundin hat, die dann statt der Mutter für das Kind sorgen würde. Das Kind wird fast nie dem Vater zugesprochen. Einem Arbeitslosen wird sowieso automatisch Alkoholismus unterstellt, so daß es in der Folge ja tatsächlich meistens dazu kommt, daß so ein Arbeitsloser Alkoholiker wird. Weil, zuerst verliert er seine Arbeit, dann läuft ihm die Frau weg, dann wird ihm das Kind nicht zugesprochen und dann wird schon überall getuschelt: Der läßt sich ja gehen, der kümmert sich nicht um den Haushalt und um sein Äußeres. Da brauchst nur einmal ein falsches Hemd anzuhaben, heißt es schon: Schau dir das an, was er für ein Hemd anhat. Oder du hast einmal ein Hemd zufällig nicht gewaschen, dann heißt's gleich: Schau dir den dreckigen Kragen an. Und wenn du dich am Ende aufregst über die ganzen Gerüchte um dich herum und vor allem hinter deinem Rücken, dann heißt's: Typisch Alkoholiker, regt sich über alles gleich auf. Der ist doch aggressiv, der kann sich nicht beherrschen. Und dann geht das Getuschel natürlich weiter: Das wird schon einen Grund gehabt haben, heißt's dann weiter, daß die Resi ihn mit dem Buben verlassen hat. Einfach so, heißt's dann auf einmal, geht eine wie die Resi nicht. Die Resi ist so eine anständige Frau, heißt's, da kannst du mich betrügen, soviel du willst. Weil die Leute nicht glauben, was sie nicht glauben wollen. Von einem Mann wollen sie es sofort glauben, daß er seine Frau betrügt, womöglich mit einer jüngeren, schöneren, oder sie wollen glauben, daß er Alkoholiker ist. Aber von einer Frau glaubt das niemand. Über die heißt es noch: So eine nette, tüchtige, adrette Frau, wenn ihre Bluse schon gelbe Flecken vom Frühstücksei hat. Aber der Mann, der einmal einen Hemdknopf nicht gleich wieder annäht, der wär verkommen, der ließe sich gehen, der wär gleich schuld an der Trennung, der wär gleich seit je Alkoholiker gewesen. Ich hätt mich mehr um den Buben kümmern sollen! Lächerlich! Wenn er nicht mag. Soll ich ihn anflehen, daß ich ihm was vorlesen darf? Kannst du dir das überhaupt vorstellen, Resi, was das für ein Gefühl ist, wenn du dein eigenes Kind vom Kindergarten abholst, der Bub sieht dich und heult schon los: Wo ist die Mama, ich will, daß die Mama mich abholt? Wie steht man denn dann da vor dem Buben und vor den Kindergärtnerinnen, die süffisant lächeln wie alle Weiber, wenn es um einen Beweis ihrer Macht geht. Nicht einmal die Ärztinnen sind da eine Ausnahme. Du wirst ja als Mann schon im Krankenhaus nach der Geburt zur Seite geschoben. Überall vermitteln sie dir das Gefühl, daß du im Weg herumstehst. Das fängt genaugenommen schon in der Schwangerschaft an. Zuerst heißt's überall, der Mann soll teilnehmen an der Schwangerschaft und da rennen's dann in die Schwangerschaftsgymnastik, die Softies, hinter ihren dickbäuchigen Frauen her und üben die Atemtechnik für die Geburtswehen, aber wenn du dann wirklich einmal mitgehst zum Frauenarzt, so wie das bei uns war, und willst ihm den Zustand deiner Frau schildern, daß sie nämlich immer so ein Ziehen im Bauch hat, und fragen, ob das vielleicht Frühwehen sein könnten, dann heißt's mehr oder weniger unterschwellig: Der will sich doch nur wichtig machen! Soll ich den Herrn Doktor vielleicht auch noch darüber aufklären, was ihr Frauen in seiner Ordination empfindet? Könnt's ihr nicht einmal das selber erledigen? Immer, hast du zu mir gesagt, wenn ich beim Frauenarzt bin, überleg ich mir vorher ganz genau, was ich ihm sag, manchmal schreib ich's mir sogar auf und wiederhol es dann die ganze Zeit im Wartezimmer, damit ich's ja nicht vergeß, weil du kommst da rein bei so einem Frauenarzt, hast du gesagt, sagst zwei Sätze und ziehst dich schon aus, spreizt die Beine und dabei sollst du ihm erklären, worum es geht, meistens läßt er dich gar nicht ausreden, hast gesagt, fällt dir ins Wort, verbessert dich, interpretiert dich falsch, jedenfalls bringt er dich ganz aus dem Konzept, du bist schweißgebadet und vergißt womöglich das Wichtigste, weil gleichzeitig wühlt er ja auch noch in dir herum, und dann darfst du schon wieder vom Stuhl hopsen, dich anziehen und schon bist du wieder draußen, und auf dem Heimweg fällt dir dann ein, daß du das Wichtigste gar nicht gesagt hast, hast du gesagt. Deshalb bin ich ja mitgegangen, zum Frauenarzt: Damit du das Wichtigste nicht vergißt! Es ging schließlich um meinen Sohn! Der Mann, heißt es ja immer, kann gar nicht früh genug anfangen, sich um sein Kind zu kümmern, und auf einmal heißt's indirekt: Kann der seine Frau nicht selber reden lassen? So stehen die Dinge nämlich in Wirklichkeit: Wenn es euch paßt, sollen wir uns beteiligen an der Schwangerschaft, der Geburt und der Erziehung der Kinder. Am Wickeln sollen wir uns beteiligen, am Füttern, zur Tagesmutter sollen wir die Kinder bringen und nachmittags wieder dort abholen, auf den Spielplatz sollen wir mit ihnen gehen und nachher daheim das Geschirr abwaschen, die Schnuller sollen wir besorgen und die Saugringe, beim ersten Zahnen nachts aufstehen, aber wenn wir einmal etwas zu einer Kindergärtnerin sagen oder zu einer Kinderärztin oder zur Krankenschwester oder zum Facharzt, dann wird zur Seite gesehen und arrogant gelächelt. Dann bekommen wir keine ordentliche Antwort. Dann wird so getan, als mischten wir uns ein, als drängten wir uns auf, als maßten wir uns etwas an, das uns nicht zusteht. Das gleiche später vor dem Scheidungsrichter, vor der Sozialpädagogin, vor der Familienberaterin. Immer hat die Frau das Wort, als läge es ausschließlich in ihrer Kompetenz, zum Beispiel über Krankheit und Gesundheit des Kindes zu berichten, egal, ob es noch im Bauch ist oder neun Jahre alt. Und wenn wir dann aber auf unserem Recht bestehen, das ihr uns ja geradezu aufgedrängt habt, indem ihr uns mitnehmt zur Schwangerschaftsgymnastik, zum Kinderarzt, in die Schule, in den Hort, zum Frauenarzt, dann heißt es hinter unserem Rücken: Muß sich der so aufspielen? Ist das ein Alkoholiker oder was? (Auszug)

[kolik 12]