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Elfriede Jelinek

Gier.
Ein Unterhaltungsroman

Der Gendarm Kurt Janisch schaut sich heut wieder einmal das Foto an, auf dem sein Vater, Oberst Janisch, dreißig Jahre zuvor vor dem König salutiert hat. Sieh an, da steht der Vater ja immer noch, offensichtlich gezwungen, vor seiner eigenen begeisterten Bewegung des Strammstehens eine Spur zurückzuweichen, doch wieso ist da nichts, das ihn aufhält? - er hat so etwas Weiches, Unentschiedenes in den Schultern, das ihn dann wieder nach vorn zu drücken scheint. Vielleicht wars nur eine zum oft geprobten Salutieren quasi als Zugabe gereichte unwillkürliche Verbeugung vor dem Monarchen, einem Mann, bekannt aus Zeitschriften. Der Sohn hat, wie er da im schlangenhaft gebänderten Jogger vor dem Kastl steht und seinen Körper bändigt, indem er ihn vor dem Laufen langsam aufwärmt, so gar nichts Dienendes mehr an sich. Der Vater hat das Dienen noch, mit hängenden Schultern, aber zupackenden Händen, über die staubigen Landstraßen und zu zerdepschten Autowracks hingetragen. Vielleicht ist der Sohn vielseitiger und kann auch befehlen, sein Äußeres macht mich neugierig: das ein wenig kantige Gesicht, durch das die Gedanken, die sich bei allen Menschen gern groß machen, bloß scheu hindurchzuschlüpfen scheinen. So. Aber der Wille wäre jetzt da, wozu wird er ihn benützen? Das Boot hat beigedreht, die Ampel ist angeworfen und steht dauerhaft auf Grün, der feine Unterschied zu andren Menschen vergrößert sich.

Der Gendarm wird von einer Art Gier, die unmerklich kam, doch schließlich, sogar für die Nachbarn merklich (Staunen über Pflanzenabkömmlinge im Vorgarten, von denen man nicht weiß, wo sie her sind, gekauft kann er die nicht haben!), blieb, inzwischen ganz beherrscht. Manchmal schaut einer im Grundbuch nach, was der Gendarm mit dem Buch des Lebens zu tarnen versuchte. Jetzt hat er angelegt, er hat seine Ziele ausgespäht. Die Ruder sind eingezogen, die Angel ist ausgelegt. Netze: ausgeworfen. Vielleicht war in dem Gendarmen ursprünglich Platz für andres, Schönes, Gescheites? Ein gutaussehender und scheinbar leichtherziger Mann, der Gendarm, wie er uns Frauen eben gefällt. Damit läßt sich arbeiten. Nicht nur zum Erhalt des Weltfriedens tischen Männer den Frauen Lügen auf, um sie von sich abhängig zu machen, während Frauen doch was Besseres anzubieten haben, ihr ganzes Denken und Fühlen und vieles aus bunten Wollen. Es ist ja verständlich, daß wir, vor allem die mit den älteren Geschlechtern, die nicht viel gesehen haben durch die kleinen Ausstiegsluken des Körpers, uns trotzdem Fremde bleiben müssen! wir liebeshungrigen Damen, wir kennen diesen Gendarmen (die Blüte der Landstraße verkehrt direkt vor seinem Einsatz-Wagen und wir sind nicht dabei) leider nicht persönlich. Keine Sorge, ich mach das schon: Um Ihr kleines Liebesglück, das, wie jedes andre auch, auf Täuschung beruht, nicht zu gefährden, übernehme ich jetzt lieber allein jetzt das Erzählen. Fallen Sie mir nicht ins Wort hinein! Ich sehe, um den Krieg zwischen den Körpern zu verhindern, im Moment noch nicht einmal genau deren Aufgabe. Nicht einmal diese Entschlossenheit in dem Mann, die ich bereits spüre, kennt derzeit noch recht ihr Ziel, aber ich weiß, sie sucht es seit langem und wird es im leichtest Verderblichen, dem menschl. Körper, finden. Wer sich selbst kennt, will danach sofort was vom andern, aber die anderen wollen es dann auch gleich.

Inzwischen sind sie übrigens beide tot, der König und sein Führer und Bewacher, der Vater des Gendarmen, der damals stolz die tänzelnden schwarzen Wagen vom Grazer Hauptbahnhof (der Staatsbesuch ist von Wien aus mit der Bahn über den Semmering gefahren) über die vorherbestimmte Murbrücke geleitet und dann formlos ins Zeughaus geschmissen hat, wo reiche Leute, vor Jahrhunderten schon, ihre Metallkleidung zur Aufbewahrung gegeben hatten. Wie kann man nur das Leben hassen, denkt soeben der Sohn, der vom Tisch des Vaters übrigblieb, und kehrt das Gesicht in den Bergwind. Hoch droben kann man durchs Mansardenfenster seines Hauses eine kleine Wildfütterung sehen, in die sich weiche Schnauzen graben, deren Besitzer und Besitzerinnen später erschossen werden, viele von ihnen, nur nicht die Muttertiere, die zu dieser Jahreszeit noch von ihrer Mutterschaft beschützt werden. Andre sind allein. Sogar Tiere suchen oft, zu Unrecht, die Nähe des andern, und auch der Gendarm freundschaftelt gern im Gasthaus herum und macht kleine zusätzliche Geschäfte (mit Uhren und Juwelen lieber in die Kreisstadt! Wo einen nicht so viele Leute kennen). Er wird von vielen deshalb für einen guten Kameraden gehalten, bei dem es gebrauchtes Bauwerkzeug mitsamt Baustoffen billiger gibt. Doch wenn er sich ehrlich innerlich bereist, muß er feststellen, dort ist es so dunkel, daß man gar nicht weiß, wo man grade ist. Kein Wunder, daß er sich immer wieder, etwa in Monatsabständen, durch kämpferisches, aber wenig zielgerichtetes Durcheinandertrinken etwas illuminieren muß. Die Kollegen sehen dieses Dunkle in ihrem Kumpel nicht, vielleicht ahnen sies manchmal, und ihren Frauen, die ein Gespür dafür haben und davon kräftig angezogen sind, bis sie zu einem hitzigen Haufen werden, wollen sie nicht glauben. Wer alles nur durch Lesen kennenlernt, soll das jetzt gefälligst tun.

Täusche ich mich, oder hat man vor Jahren hier etwas gefunden, das sich nie aufklären ließ? Was muß ich sehen, wenn ich diese alte Zeitung aufschlage? Da schimmert ein helles Gesicht unter dem untersten Saum von Fichtenzweigen, wie ein kleiner Mond, das Gesicht erzählt von etwas, aber es kann es nicht mehr weitersagen, denn eine schwere Hand wurde auf die Kehle gelegt, Kleider wurden heruntergerissen, die Züge des Antlitzes erschüttert; Gleise, die vielleicht gutmütig freie Fahrt gewährt hätten, hätte man sie nur darum gebeten, wölbten sich auf, brachen, während an den Wurzeln des Körpers, den Beinen, gezogen und gerüttelt wurde, bis das Maß voll war, bis die bröcklige Erde abging. So, wo ist jetzt der Beutel mit dem Humor, den wir bei der polizeilichen Anzeige vorhin noch gehabt haben? Wo ist der Humus zum Eintopfen? Jeans, in die absolut nichts mehr hineinzugehen scheint, lösen sich an den Nähten auf, ein Rock fliegt empor, fällt vom Himmel wieder auf die Erde, macht wilderwillig, weil dafür nicht geschneidert, einen Sack, in den dann das Gesicht der Frau hineinkommt. So, und wo machen wir jetzt den Stempel hin, daß diese, eine ursprünglich vielseitig Interessierte, sich künfig nur noch nach Schlaf sehnen wird, weil sie das Gegenteil von Schlaf, äußerste Aktivität, bis in diese letzte Seins-Wurzelfaser kennen- und grundsätzlich abzulehnen gelernt hat?

Es macht den Gendarmen manchmal nervös, daß die Dörfler ihn so gar nicht kennen, obwohl seine ursprünglich angestrebte Tarnkleidung ja Güte und Freundlichkeit war, und dann trinkt er wieder zu lang weiter, notfalls allein. Es ist von Frauen, auf deren Grund und Boden er ein Auge geworfen hatte, bereits der Boden zwischen und unter seinen Füßen gekost worden, solang bis er ihm zu heiß wurde. So ein energischer, großer Mann, der beinahe jedes Geschehen auslösen kann. Eine Auserwählte, die vorher ein wenig zu lange im Schaufenster gelegen ist, bis zuviele sie gesehen und auch nicht mitgenommen hatten, kennt inzwischen nur mehr den einen Quadratmeter vor dem Telefon, und der ist auch längst durchgeschmort vom Hin- und Herrennen, und dann noch den Weg von der Tür und das schöne Bett, das, samt neuer Satinwäsche, in der Kreisstadt eigens für zwei gekauft worden ist. Wozu braucht man den Rest.

Zu hassen ist nicht gut, aber erst wenn Sie mir sagen wen, kann ich wirklich sagen, ob es gut oder schlecht ist. Es gibt manchen die Energie, die sie brauchen, wie ein Marsriegel, der vom Kriegsgott direkt kommt und in die Figur des Menschen abstürzt, bis diese zerflossen ist. Der Pilot kann sich auch mit dem Schleudersitz nicht mehr retten. Man kann mit dem Gehasse aber ganz schön alt werden. Es vertreibt die Zeit, die aber sowieso davonrennt, wenn sie uns nur sieht. Jeder glaubt ja, er wäre unter Freunden, wenn er einmal an einen nach außen hin Friedlichen gerät, der ein Amt bekleidet und Frauen auszieht, die sind dann immer ganz hin danach. Weshalb also hassen, außer im Krieg, welcher derzeit wieder einmal veranstaltet wird und der alles in uns, und das ist viel, je nach Wut der Gegenseite, hervorschießen läßt und sich nur durch die äußerste Lebensliebe und einen selbstgenähten eisernen Vorhang wieder eindämmen ließe. Sowas haben wir aber auf unserem Lager nicht vorrätig, dort liegen nur zwei extrem weiche Daunendecken, falls mal zufällig wer vorbeikommt. Stattdessen haben wir gegenseitige Feldzüge im Angebot, bis das Feld zwischen uns zertrampelt ist. Von Regen und unsren Wünschen nach dem Eigentum des Nachbarn ist es jetzt auch noch aufgeweicht. Eignet sich nicht einmal mehr fürs Schlachten. Aber der Nachbar muß sowieso nachgeben, wir haben ihm mit der Polizei gedroht, wenn er die Mauer mit dem häßlichen Zaunaufbau nicht abnimmt, weil er damit unsre Aussichten stört. Durch Offenheit, Fleiß und Fröhlichkeit, welche der Gendarm gerne den anderen vorspiegelt, soll die Lebensliebe andrer ihm gegenüber erzeugt werden, doch von dieser Ware ist wenig vorrätig. Die Flammen schießen im Gameboy schon hoch, in dem unser eigenes Leben simuliert wird, doch was für ein schreckliches Gesicht schaut von uns aus da zurück? Kein Gesicht schaut dem Gendarmen, der süß im Traum von Macht und Größe schläft, von uns aus zurück, denn dieser Mann interessiert uns, zu Unrecht, noch nicht. Wenn er sich den Bauplan für unsere Schaltungen und unser Häuschen und unsre Eigentumswohnungen besorgt haben wird, könnte sich das rasch ändern. Ich hoffe, ich schaffe es, daß Sie auch noch einen glücklichen Moment von ihm erleben! Aber ich bezweifle es, ich mag ihn jetzt schon nicht. Das wirft man mir oft vor, daß ich dumm dastehe und meine Figuren fallenlasse, bevor ich sie überhaupt habe, weil sie mir offengestanden rasch fade werden. Vielleicht gerade jetzt, da der Staatsdiener sich über den fremden Bauplan beugt, den er gestohlen hat, vielleicht ist er jetzt glücklicher als wir? Und das soll uns interessieren? (Auszug)

[kolik 11]