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Wolfgang Rupert Muhr


DEZIBEL ENTSCHEIDEN.

Dramolett

DIE PERSONEN:
Herr und Frau Stallner
Oma Stallner
Zwei Männer in Schwarz


ZUR BÜHNE:
Eine österreichische Wohnküche (wie auch immer angedeutet)


1. und einziger Akt:
(Besagte Wohnküche. Nähere Regieanweisungen ergeben sich aus dem folgenden und sind ohnedies obsolet. Eventuell sprechen die Männer in Schwarz in breitem Wienerisch.)

Mutter: (ruft) Edwin. Eeedwiin. (Pause) EEEEDDWIIIN. Mannsbilder.
Edwin, die Oma braucht dann den Umschlag.
Oma: Ja, den Umschlag, den brauch ich.
Mutter: Edwin, mach doch der Oma den Umschlag! (Pause) Auf den
Ohren sitzt er, wenn er am Klo ist, nicht auf seinem Hintern, auf den Ohren.
Oma: Auf die Ohren, ja.
Mutter:Auf DEN Ohren, Oma. Auf DEN Ohren. Da ist der Dativ verlangt.
Oma: Der Dativ, ja.
Mutter: Genau. Da kannst du das Fragewort nehmen: Auf WEM sitzt er, auf DEN Ohren sitzt er. Das AUF WEM zeigt dir schon den dritten Fall an.
Oma: Jesusmarandjoseph! Nur kein dritter Fall. Die zwei Mal waren schon genug. Da schau, den Arm kann ich immer noch nicht so heben. (zeigt vor) Und für die Füß brauch ich jetzt die Umschläg, wegen der blöden Kellerstiege.
Mutter: Ja, was hast du denn auch im Keller zu schaffen. Das hat niemand verlangt, daß du da runtersteigst. Aus dem vierten Stock in den Keller. In deinem Alter. Wirklich wahr.
Oma: Aber irgendwer muß doch mal nach dem Rechten sehen. In einem Keller kann viel passieren. Da passiert viel, ohne daß man's weiß.
Mutter: Aber Oma, was soll denn schon in einem Keller passieren. Gar nichts passiert da, da stehen die Fahrräder und verstauben.
Oma: Und wenn der Nachbar den Keller benutzt? Um Rauschgift oder Leichen drin zu verstecken ? Oder beide?
Mutter: BEIDES, Oma. Wenn schon, dann beides. Geh, du sitzt zuviel vor dem Fernsehapparat.
Oma: Wir wären nicht die ersten, denen sowas angehängt wird. Bei dem kleinen Vorhängeschloß. Das muß man überprüfen. Da schau, in der Zeitung steht's: "KILLER-EHEPAAR LAGERT OPFER IM KELLER DER NACHBARN."
Oma: Geh Oma, du sollst doch die Zeitung da nicht lesen, die kleine. Lies lieber die große, da, die ganz große, da stehen viel interessantere Sachen drin. EEEDWIIIN!
Oma: Die große, ja, die ganz große, naja. Mag ich nicht so gern, aber bitte, ja. (liest)
Oma: Die ist ja von letzter Woche.
Mutter: Geh Oma, du weißt doch, daß wir die immer nur am Wochenende haben, wo man sie sich gratis nehmen kann. Jetzt lies, die intelligenten Sachen werden schon nicht alt. Edwin, der Umschlag.
Vater: Ich brauch Klopapier.
Mutter: Da. Na. Mannsbilder. Wenn er das Maul aufmacht, braucht er was. Anstatt daß er etwas tut, muß man was für ihn tun. (ruft) Ich kann doch jetzt nicht, ich hab die Hände voller Teig.
Vater: Ich brauch aber Klopapier.
Mutter: Nimm doch dein Waffenjournal, du hast doch eh immer eines dabei, am Klo.
Vater: Das ist die neueste Ausgabe. Und überhaupt, mein Waffenjournal nehm ich nicht.
Mutter: Dann nimm eine von den Illustrierten. - Aber nicht die Burda, hörst du, da ist ein Strickmuster drin, ja, nicht die Burda.
(Pause)
Vater: Die Burda nehm ich sowieso nicht. Mit den Hochglanzseiten geht das nicht so gut. (Pause) Ich nehm die Neue Post, das geht besser.
Mutter: Is gut. (Pause) Aber nicht die mit dem Schlagersänger vorne drauf, dessen Namen ich immer vergesse. Du weißt schon.
Oma: Palkos Kalykos.
Mutter: Genau. (ruft) Palkos Kalykos, den nicht, ja!
(Klospülung)
Oma: Da schau, sogar in der großen, in der ganz großen: "RAUSCHGIFTLABOR IM KELLERGESCHOSS, NACHBARN ALS MITWISSER ANGEKLAGT." Da, schau.
Mutter: Geh Oma, leg doch die Zeitung ganz weg. Mach eine Handarbeit, wie früher, hm?
Oma: Das kann ich nicht mehr, mit den Augen.
Mutter: Aber was! Lesen kannst du ja auch noch so gut. Manchmal vergißt du sogar die Brille, wenn man's dir nicht sagt.
Oma: Und was für eine Handarbeit soll ich machen?
Mutter: Na, einen Schal zum Beispiel. Für die Gerda. Die freut sich bestimmt, bei ihrem Husten.
Oma: Einen Schal. Für die Gerda. Im Frühling.
Mutter: Der nächste Winter kommt bestimmt, Oma. So hast du wenigstens Zeit zum Stricken. Eeeedwiin, bist du jetzt endlich fertig mit deinem Geschäft?
Wenn man ihn nicht ruft, bleibt er den ganzen Tag da drin. Den ganzen Tag, was Oma, hab ich recht?
Oma: Jaja, kennen wir alles schon.
Mutter: Edwin, die Oma leidet. Jammer ein bißchen, Oma.
Oma: Ajajajajajajei, meine Füß, meine Füß, einen Umschlag brauch ich, einen Umschlag.
Mutter: Lauter.
Oma: AJAJAJAJAJAJAJJEI, einen Umschlag, so dringend, einen Umschlag. AJAJAJAJAJAJJEI.
Mutter: So ist's gut. Das kann er nicht hören. Da kommt er dann.
Oma: AJAJAJAJAJAJAJEI, was hat man Kinder in die Welt gesetzt, wenn sie einem im Alter nicht helfen, AJAJAJAJAJAJAJAJEI.
Mutter: Das reicht schon Oma, der kommt gleich.
Oma: AJAJAJAJEI.
Mutter: Oma, Ruhe jetzt, das reicht.
Oma: AJAJAJAJAJAJAEI.
Mutter:KUSCH, OMA!!!
(Die Oma verstummt, beleidigt wegen des harschen Tones. Nochmal Klospülung. Der Vater tritt auf.)
Vater: Die Neue Post hab ich nicht gefunden. Aber das Goldene Blatt, das greift auch gut.
Mutter: Ach geh, nein. Das such ich schon überall. Für die Oma, die hat's noch nicht gelesen.
Oma: Ah geh.
Vater: Jetzt ist es zu spät. Zurückholen kann ich's nicht mehr.
Oma: (larmoyant) Ach geh, grad das Goldene Blatt, grad meines, das war nämlich meines. Ah, geh.
Vater: Ja, so hör doch auf. Soll ich in den Kanal kraxeln wegen der Zeitung?! Die Gerda kauft dir eine neue.
Mutter: Immer die Gerda. Laßt mir doch das Mädel in Ruhe. Die hat doch eh kein Geld und schon genug Krampf mit dem blöden Husten.
Oma: Mein Goldenes Blatt für so ein dreckiges Geschäft. Wirklich wahr, geh.
Vater: SCHLUSS OMA! ICH STECK DICH FÜSSE VORAN INS KLO, DANN HAST DU DEINEN UMSCHLAG, MIT SPÜLUNG, GANZKÖRPERLICH.
Mutter:JETZT HAT ABER RUHE ZU HERRSCHEN. WO SIND WIR DENN. BEI DEN HOTTENTOTTEN ODER WAS. SCHREI NICHT SO MIT DEINER MUTTER.
Vater: In meinem Haus schrei ich mit meiner Mutter wie's mir paßt, KLAR?!
Mutter: WENN'S NUR DEIN HAUS WÄRE. DEINE KLEINE MIESE WOHNUNG IST'S, DAS LOCH, DAS IST ALLES. UND WENN DU DICH ABREAGIEREN MUSST, DANN NIMM DIR EINEN KOCHLÖFFEL UND BEARBEIT DEN TEIG DA. DA KANNST DU DEINE GANZE MÄNNLICHE AGGRESSION HINEINSCHLAGEN.
Vater: ICH SCHLAG MEINE MÄNNLICHE AGGRESSION HINEIN, WO ICH WILL, UND WENN DIR WAS NICHT PASST, DANN NIMM DIE OMA UND VERSCHWIND.
Mutter: Das ist DEINE OMA, nicht MEINE.
Oma: Seine MUTTER bin ich, seine MUTTER, schämen kann man sich. (weint)
Vater: Na, jetzt plärrt sie. Wunderbar. Ich geh aufs Klo. (nimmt die Zeitung, die ganz kleine)
Mutter: Du bleibst jetzt da. Ich schmeiß dir den Teig nach. Dann kannst du dir deine Knödel in die Haare schmieren. EIN NARRENHAUS IST DAS, EIN NARRENHAUS. (es klingelt)
Na, da haben wir den Salat. Jetzt erklär mal dem Herrn Brechreißer, warum du so laut warst, Edwin.
Vater: Dem erklär ich schon was, dem Brechreißer.
Mutter: Edwin, der geht zur Hausverwaltung. EDWIN.
(Der Vater öffnet. In der Tür stehen zwei schwarz gekleidete Männer. Ob man sich mit dem weiter gedachten Outfit ins Klischee setzt, sei höflichst dem Inszenierungsarrangeur überlassen.)
Vater: Ja?!
(Als Antwort erhält er einen stark schallgedämpften Schuß. Er bricht zusammen. Die Männer steigen über den Körper hinweg in den Raum. Mutter und Großmutter starren gebannt, völlig geschockt.)
Erster Mann: (zum zweiten) Sonst noch jemand? (zielt auf die Mutter)
Zweiter Mann: (sieht auf einen großen Block) Naja, seine Frau wird auch als ziemlich laut beschrieben.
Erster Mann: Welche Werte?
Zweiter Mann: Durchschnittlich vier Mal die Woche zwölf überm Limit.
Erster Mann: Und die Omama da?
Zweiter Mann: Äh- (blättert) Einskommasechsmal die Woche,ebenfalls zwölf.
Erster Mann: Was ist mit der Tochter?
Zweiter Mann: Tochter Gerda nicht anwesend, aber sowieso ohne Meldung. Eine ganz ruhige.
Erster Mann: (Nachdem er mit dem Zielen zweimal zwischen Oma und Mutter hin- und hergewandert ist) Na schön. Senkt den Schnitt enorm, so eine Nullmeldungstochter. (packt die Waffe weg) Sagen wir: Damentag und Glück gehabt. (im Abgehen, auf Edwin zeigend) Die Entsorgung ist Sache der lärmenden Partei. Kein Zuschuß vorgesehen. Und für die Zukunft: Denk' an die Mitmenschen. Lärm bereitet Kummer. DEZIBEL ENTSCHEIDEN.
(Tür zu. Oma und Mutter starren immer noch unbeweglich in dieselbe Richtung. BLACK.)

[kolik 10]