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Angelika Reitzer

Ouzoud

die Stadt hat sich herausgeputzt: auf der Schnellstraße (eine bewegliche Wäscheleine), die am Hafen vorbeiführt, parken 3 rosarote Lastkraftwagen, die auch aus zunehmender Entfernung noch flimmern, als wollten sie uns eine aberwitzige Stimmung mit auf den Weg geben. Die Campari-Leuchtreklame über unserem Hotel ist nicht eingeschaltet, aber gut sichtbar, die Stadt in einer diesigen Laune. Gut für eine Fahrt übers Meer.
Wir sind rechtzeitig am Hafen. Wir sind so früh, dass wir in die Bar gehen um einen Kaffee zu trinken, das Mädchen hinter der Bar lächelt immer so schief in unsere Richtung: ist sie Verbündete oder Gegnerin unseres Plans. Als eine Gruppe älterer Männer in Anzügen hereinkommt und sich laut redend ans andere Ende der langen Bar stellt, beachtet sie uns nicht mehr. Die Stühle in dem großen Raum erinnern mich an eine kleine Insel, ich spür die Berührung der strengen hohen Lehne an meinen Schulterblättern, ich sitze halbwegs/gerade auf einer dieser geflochtenen, harten Sitzflächen. Kleine quadratische Tische standen da in einer Reihe, alle mit Blick auf Meer & Windräder. Eine bizarre Ordnung, die jederzeit kippen konnte. Ich denke ans Türkis, an die Farbflecken, die auf manchen Inseln stärker als auf anderen verteilt sind, an das dramatische Licht, das in dieser Szenerie aufs Meer fällt, und daran, dass Windräder langweilig sind; ich will ein Foto machen: dazu taugt dieser Platz gerade: Einübungen ins touristische Handwerk. Wenn ich die Stelle schon nicht genießen kann – wenigstens ein Foto. Davor verbringe ich einen Tag & eine Nacht auf einer Fähre, an Deck, im Schatten sitzend, lesend. Zwischendurch schaue ich aufs Meer, schreibe einen Brief über diese ruhigen Stunden, die Stetigkeit, das Gleichmaß; nachts liege ich direkt am Boden, was mir nichts ausmacht. Ich lagere in der Nähe eines Burschen, der an meinen Fußsohlen die Wunden meines Körpers erkennt, alle. Als ich frühmorgens von der Fähre gehe, lasse ich ihn zurück. Welche Insel war das und wohin fuhr die Fähre auf diesem Ausflug, in Richtung Freizügigkeit & Einsamkeit.
Wir schlendern zum Schiff und jetzt ist keine Zeit mehr vorhanden, denn wir müssen einchecken; die Schikane überrascht mich nicht. Immerhin ist bis jetzt alles glatt gegangen. Ein Typ, der lässig am Zaun neben dem Tor lehnt und uns darauf aufmerksam macht, kriegt von ihr/meiner Begleitung eine Ladung französischer Schimpfwörter, grinst & zeigt uns weiße Zähne inmitten seines Zottelbartes; zuerst sieht er harmlos aus, dann, als könnte er dafür sorgen, dass wir nicht mehr aufs Schiff kommen, da zieh ich sie weg von dem Tor. Die Abfertigungsbüros sind weit entfernt, wir hetzen mit unserem gesamten Gepäck am Rand einer Fahrbahn neben Lkws und rasenden Autos in die angezeigte Richtung & zurück.

Container, Kräne, Kuppeln, der Himmel flockig oder fleckig (leicht mit Wolken belegt), Beton als Silhouettengrund für die geschichtete Stadt. Dem Turm der Kommandantur vor einer Fensterreihe (rot) leisten Fahnenstangen Gesellschaft und ein paar Männer auf ihren Posten, die scheinbar warten; Arme am Geländer oder unter Bögen: unerwartete Lokalität. Auf einem Containerschiff werken dutzende chinesische Matrosen & es ist, als würden wir an dem Schiff anstreifen und uns ein paar Kratzer holen. Und, als könnte man diese Schrammen einfach abwischen, als würden sie verschwinden durch eine zarte Brise. Wie die Hafenanlage, die wir hinter uns lassen: total angespannte Empfindungsstränge, ein überdrehtes Nervensystem.
Das kam so: sie fing an, regelmäßig das Haus zu verlassen, morgens zwischen 9 und 10. Sogenannte kreative Branche. Eh ichs bemerkte, gehörte sie zu den arbeitenden Menschen, die ihr eigenes Geld verdienen, die abends müde sind, nicht mehr bis zum Ende der Party bleiben, schon gar nicht während der Woche. Sie nahm jetzt ihren Kaffee in der Früh kurz, schnell & die Zeitung mit im Vorbeigehen. Sie sagte Sätze wie: wir sind vernetzt, also nicht festgelegt, & meinte, dass sie ihren Schreibtisch mit 2 Kollegen teilen muss. Oder: die Arbeit macht echt Spaß, ja, so kann ich es sagen, ich habe Glück gehabt und jetzt habe ich eine Arbeitsstelle und zweieinhalbtausend brutto. Jahrelang haben wir zusammen Perspektiven anprobiert wie Klamotten, wir sind wählerisch, haben den Spiegel gegeben für die andere und auf einmal wusste ich nicht, was sie den ganzen Tag treibt, und sie hatte keine Ahnung mehr von diesen Stunden zwischen Feierabend & Schlafengehen. Ich wusste, dass sie sich an manchen Tagen beeilte, um noch in den Supermarkt zu kommen, bevor der zumacht. Als wäre regelmäßiges Einkaufen von Lebensmitteln jetzt wichtig. Manchmal schlief sie mit Gustls Freund, der vorübergehend bei uns eingezogen war. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie ihn besonders mochte. Sie kiffte nicht mehr so viel, trank dafür aber mehr Whiskey sour. Am Wochenende ging sie auf Flohmärkte für die individuelle Kreativität & sichtbare Konsumverweigerung, und in Buchhandlungen, wo sie Bücher abholte, die sie meistens nicht las oder an deren Inhalt sie sich nach kürzester Zeit nicht mehr erinnern konnte. Manchmal feierten wir noch zusammen, ich & alle unsere Freunde hattens immer irgendwie besser als sie (ihre Worte), weil wir machen konnten, was wir wollten. Nur noch ganz selten landeten wir auf einem Dach und schauten in den Morgenhimmel.
Wir gehen die steile Treppe hinunter, wir steigen immer weiter nach unten, an den Autos vorbei, wir senken uns in den untersten Bauch, wo das Schiff schon eher Gedärm ist, und ganz unten dann, die Stiegen sind steil & eng & ach, hier links geht es zu den Toiletten, liegt unsere Kabine: Nummer 635 von insgesamt 636. Niemand nimmt uns wenigstens eine der Taschen ab, ich dreh mich jetzt nicht um, ich kann mich nicht immer um sie kümmern. Die Kabine ist nicht viel größer als das Stockbett, die Wände werden vom Maschinenlärm zusammengehalten, die Luft ist stickig und heiß, es riecht nach Diesel. Genau gegenüber unserer Kabinentür sitzt ein Typ, der die ganze Zeit auf einem jener unvermeidbaren Plastikstühle sitzt. (In vielen Farben; alle aus einem anderen Jahrzehnt und so ausgesucht, dass sie sich gut abheben: gegen den Horizont oder vom Wasser, bevor sie sinken. Was länger dauert, als ich erwarte.) Manchmal hat der Typ Gesellschaft, er bewacht, wie ich folgere, dieses unterste Deck. Er sieht nicht besonders vertrauenerweckend aus, die Notwendigkeit seiner Funktion und er selber geben mir zu denken. Wir stellen unser Gepäck auf den Boden, wo als einzige Einrichtung neben dem Stockbett 2 Mistkübel stehen, als wären die notwendig, um die beiden freien Ecken auszufüllen. Die kleinen Lampen über den Betten funktionieren nicht, in einem fehlt die Bettwäsche. Ich versuche ihr aufmunternd zuzulächeln, aber das hat keinen Platz in dieser Kammer.

(Ausschnitt)

[kolik 32]