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Robert Woelfl

Einer deiner Wünsche
Ein Text für das Theater

Jan

Ich kam ins Zimmer und schaltete den Fernseher ein.

Ich zog die Jacke und die Schuhe aus. Die Jacke hängte ich auf einen Kleiderbügel in den Kasten.

Ich nahm das Telephon. Ich rief Martin an, aber er hob nicht ab. Ich ließ so lange läuten, bis sich seine Mailbox einschaltete.

Ich mußte den Weckruf programmieren. Es war jetzt drei, und ich programmierte den Weckruf für acht.

Ich nahm die Fernbedienung und legte mich aufs Bett. Ich war nicht müde.

Ich lag auf dem Rücken und drückte die Tasten der Fernbedienung. Es gab vierundvierzig Kanäle. Ich klickte mich langsam von eins bis vierundvierzig und von vierundvierzig wieder zurück bis eins. Dann wieder von vorn, von eins bis vierundvierzig.

Ich hatte noch immer die Jeans an und das Hemd. Das Hemd, das wir zusammen gekauft hatten.

Ich machte den Ton leiser. Ich schloß die Augen und konzentrierte mich auf das Geräusch beim Umspringen eines Kanals auf den nächsten. Ich hielt die Augen geschlossen und drückte die Tasten der Fernbedienung und hörte dem Geräusch zu.

Ich rief Martin an. Ich wollte ihm eine Nachricht hinterlassen. Ich wartete, bis seine Mailbox kam und er seinen Ansagetext gesprochen hatte. Ich sagte: Erklär es mir, ich will es verstehen.

Der Fernseher stand auf dem Schreibtisch in der anderen Ecke des Raumes. Er war zum Bett hin gedreht. Es war ein älteres Modell, groß und unförmig, mit einem hellgrauen Gehäuse.

Eine Zeitlang blieb ich bei einem Film, in dem drei Menschen gegeneinander kämpften. Der Film spielte in einem Wochenendhaus an einem See. Zwei Frauen und ein Mann saßen im Wohnzimmer und tranken und schrien sich an. Abwechselnd weinte einer von ihnen. Ich kannte keinen der Schauspieler. Vom Wohnzimmer aus hatte man einen herrlichen Blick auf den See. Vor dem Haus standen die Autos, ein BMW, ein Mercedes, ein Range Rover.

Ich zog die Jeans und das Hemd aus und legte die Sachen auf den Stuhl. Das Hemd hatte Martin ausgesucht. Er wollte, daß ich mich von jetzt an anders anzog. Er wollte, daß ich mich vollkommen veränderte.

Ich ließ den Fernseher laufen und ging ins Bad. Der Lichtschalter im Bad hatte einen Dimmer. Wenn man den Schalter drückte, wurde es nicht augenblicklich hell, sondern nur allmählich, ganz langsam. Ich ging ins Bad, um mir die Zähne zu putzen und das Gesicht zu waschen. Neben dem Waschbecken lag ein Stapel sorgfältig zusammengelegter hellgrüner Handtücher.

Das Bad war fast ebensogroß wie das Zimmer. An der Decke gab es einen Lautsprecher, der den Fernsehton wiedergab. Ich konnte hören, was bei der Dreiecksgeschichte passierte. Ich kontrollierte mich im Spiegel. Ich erwartete, daß irgend etwas anders war, daß irgendeine Veränderung zu sehen war, aber die Haut war weder trocken noch gerötet oder sonst irgendwie unansehnlich. Ich erwartete einen Makel, aber es war alles wie immer.

Ich legte mich wieder aufs Bett. Das Zimmer war ein Nichtraucherzimmer. Es war sauber und roch nach Zitronen, nach Zitronenduftspray. Ich legte mich aufs Bett, aber ich war nicht müde.

Ich lag auf dem Rücken und starrte an die Decke. Ich wartete darauf, müde und schwer zu werden. Ich wartete darauf, leer zu werden.

Ich fing an zu onanieren, langsam und mechanisch.

Martin hatte sich eine neue Sonnenbrille gekauft. Er wollte wissen, ob sie mir gefiel. Sie hatte einen Metallrahmen und Spiegelgläser. Er wollte wissen, was ich dazu sage. Er wollte, daß ich ihn bewundere. Während des Abendessens steckte er sie in die Haare, und dann sah sie aus wie eine dunkel spiegelnde Krone.

Ich hörte auf zu onanieren und setzte mich auf. Ich nahm das Telephon und rief ihn an. Es war jetzt vier. Ich ließ so lange läuten, bis sich die Mailbox einschaltete. Kannst du mir sagen, was passiert ist? Warum erklärst du es mir nicht?

Die Zimmerdecke leuchtete in den Farben des Fernsehers. Wenn ich umschaltete, blitzte es kurz auf. Ich hörte auf das Geräusch beim Umspringen eines Kanals auf den nächsten.

Ich suchte die Dreiecksgeschichte. Das Wochenendhaus am See. Der Mann und die beiden Frauen, die einander haßten. Aber der Film war offensichtlich schon zu Ende, oder alles spielte nun an einem anderen Ort, und ich konnte die Personen nicht wiedererkennen. Ich klickte mich von eins bis vierundvierzig und von vierundvierzig wieder zurück bis eins.

Ich fing wieder an zu onanieren. Dabei sah ich zum Fernseher hin. Ich wollte nicht onanieren und die Augen schließen und mir Martin vorstellen. Ich suchte nach einem Kanal mit Werbung. Ich machte den Ton lauter.

Als ich fertig war, drehte ich mich zur Seite und wartete darauf, daß Martin anrief.

Ich ging ins Bad. Ich drückte den Lichtschalter, und zeitverzögert wurde es hell. Der Raum wurde langsam eingeblendet. Ich putzte mir noch einmal die Zähne und cremte mir das Gesicht ein. Ich sah mich im Spiegel an. Das Gesicht glänzte von der Creme. Ich schaltete das Licht aus, und der Raum wurde langsam wieder ausgeblendet.

Ich rief ihn an. Ich hinterließ ihm eine Nachricht. Ich sagte: Ich habe keine Regel gebrochen.

Ich nahm die zwei Flaschen Bier aus der Minibar. Ich faltete den Kopfpolster zu einer Rückenlehne. Es war ein belgisches Bier. Das Glas, das auf dem Schreibtisch stand, war schmutzig und war eigentlich ein Zahnputzglas. Ich nahm die zwei Flaschen und das Glas und setzte mich aufs Bett. Ich lehnte mich an den Polster.

Ich klickte mich einmal durch alle Kanäle. Ich machte einen einzigen Durchlauf, dann schaltete ich aus. Am unteren Rand des Fernsehers leuchtete ein rotes Lämpchen auf. In der Dunkelheit glühte es. Ich wollte nur das Bier trinken und ruhiger werden.

Ich zog den Vorhang vor dem Fenster weg.

Ich kannte in dieser Stadt außer Martin niemanden.

Seit einem halben Jahr kam ich jetzt hierher. Immer kam ich in seine Stadt. Immer trafen wir uns in seiner Stadt.

Wenn ich mich auf die rechte Seite drehte, konnte ich den Himmel sehen.

Von unten gab es keine Geräusche. Keine Sehr-spät-in-der-Nacht-Geräusche. Ich hätte jetzt gern ein Auto gehört, das bei einer Ampel stehenblieb und dann wieder anfuhr. Oder ein Motorrad, das viel zu schnell unterwegs war. Ich hätte gern irgendein kurzes, sinnloses Geräusch gehört.

Ich konzentrierte mich darauf. Ich konzentrierte mich auf etwas, das gar nicht da war. Aber ich wollte jetzt unbedingt etwas haben, mit dem ich mich beschäftigen konnte, etwas außerhalb von mir selbst.

Ich lag auf der Seite und sah in den Himmel und wartete, aber es blieb still.

Ich setzte mich auf und vergewisserte mich, daß ich den Hörer richtig aufgelegt hatte. Um acht würde das Zimmertelephon läuten.

Martin und ich hatten genau das gleiche silberfarbene Mobiltelephon. Zufällig. Ein Nokia. Wir hatten es schon, bevor wir uns kennenlernten. Vielleicht war es unser Erkennungszeichen. Martin machte mich darauf aufmerksam. Er zeigte mir sein Telephon und grinste.

Ich nahm es in die Hand und wartete darauf, daß er anrief.

Ich drehte mich zur Wand. Ich wollte schlafen. Ich roch die Innenflächen der Hände. Ich konnte nicht sagen, wonach sie rochen, aber es beruhigte mich. Es gibt so viele Möglichkeiten, sich beschützt zu fühlen. Der Geruch gehörte zu mir und war gleichzeitig etwas vollkommen Fremdes.

Ich machte die Augen zu.

Ich erzeugte die Bilder, die ich sehen wollte. Wie wir am Strand sind, wie wir am Wasser entlanggehen, wie wir nebeneinandersitzen. Wie wir auf seinem großen blauen Badehandtuch liegen. Wie wir wieder in der Wohnung sind. Wie wir durch die Wohnung gehen. Wie wir in der Küche zusammen kochen und wie wir uns umarmen.

Aber ich konnte mich nicht richtig darauf konzentrieren. Die Bilder fielen immer wieder zusammen, und ich mußte sie immer wieder neu erzeugen.

Ich krümmte mich zusammen, um schwächer und zerbrechlicher zu sein. Verletzbar und noch verletzbarer. Ich krümmte mich zusammen, um kleiner zu sein als der Körper.

Ich rief ihn nochmals an. Warum hebst du nicht ab?

Ich behielt das Telephon in der Hand. Ich klickte im Menü herum. Alle Anrufe, die ich in den letzten Tagen gemacht hatte, und alle Anrufe, die in den letzten Tagen reingekommen waren. Der Terminkalender und die Nachrichten, die ich gespeichert hatte, und die Eintragungen im Telephonbuch.

Es war nach fünf, aber es wurde noch nicht hell.

Ich konnte nicht schlafen. Ich konnte nicht schlafen.

Ich ging ins Bad und nahm die Nagelschere aus der Tasche. Ich fing an, mir die Fingernägel zu schneiden. Ich nahm die Brause und begann mir die Haare zu waschen. Ich verwendete mehr Shampoo als sonst. Ich massierte mit beiden Händen die Kopfhaut. Danach spülte ich das Shampoo lange aus. Ich setzte mich auf den Badewannenrand und rubbelte die Haare trocken.

Ich schaltete das Licht im Badezimmer aus und sah zu, wie der Raum langsam ausgeblendet wurde.

Ich nahm die Erdnüsse aus der Minibar und schüttete sie in den leeren Aschenbecher. Den Aschenbecher stellte ich auf das Ablagebrett am Kopfende des Bettes. Ich nahm noch das Fläschchen Wodka und den Cognac heraus.

Ich habe keine Regel gebrochen. Ich habe dich nicht betrogen, und ich habe dir nichts verheimlicht, und ich habe niemandem etwas davon erzählt.

Ich lag auf dem Rücken und starrte an die Decke. Ich wollte jetzt noch einmal onanieren. Ich wollte es noch einmal machen. Dann verging die Zeit schneller, und ich würde müde sein danach. Ich fing an, aber ich bekam keine richtige Erektion. Ich drückte das Gesicht in den Polster.

Als ich ihn das erste Mal sah, hatte er eine Jeans an und ockerfarbene Schuhe, er trug ein T-Shirt ohne Aufdruck, einfach nur ein weißes T-Shirt, und darüber seine Lederjacke. Er schrieb mir seine Telephonnummer auf. Aber das war nichts Besonderes. Das bedeutete noch nichts. Er schrieb seine Nummer auf die Rückseite eines Kassabons und ließ den Bon auf dem Tisch liegen. Als ich ihn anrief, erwartete ich mir nichts. Als ich ihn das erste Mal anrief, meldete sich nur seine Mailbox, und ich hinterließ ihm eine Nachricht. Ich sagte zu ihm: Wenn du neugierig bist, dann ruf mich zurück.

Ich nahm die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Ich drückte die Taste mit dem Aufwärtspfeil. Ich wollte einen Film sehen. Einen Film wie den mit dem Wochenendhaus am See. Ich wollte einen Film sehen, in dem drei Menschen über ihre Beziehung diskutieren.

Ich klickte mich durch alle Kanäle, von eins bis vierundvierzig und von vierundvierzig wieder zurück bis eins.

Ich wollte einen Film sehen, in dem sich zwei Menschen mögen und diese Verbindung von einem Dritten bedroht wird. Ich wollte jetzt eine klischeehafte und verlogene und schon tausendmal gesehene Dreiecksgeschichte sehen. Und ich wollte sehen, wie sie ausgeht.

Aber es gab jetzt keinen solchen Film. Es liefen Wiederholungen von Talkshows und Vorabendserien, Dokumentationen und Cartoons.

Ich blieb eine Zeitlang bei einer Dauerwerbesendung. Es wurde ein multifunktionales Trainingsgerät für zu Hause vorgestellt. Bei regelmäßiger Verwendung versprach das Gerät einen muskulösen, einen perfekten Körper. Ein Mann und eine Frau demonstrierten, wie man damit richtig trainierte. Die Frau trug einen lilafarbenen enganliegenden Trainingsanzug, hatte brünette Haare, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren, und makellose, strahlend weiße Zähne.

Der Mann war muskulöser, aber nicht zu sehr. Er trug ein orangefarbenes, ärmelloses Shirt und weite graue Trainingshosen. Er hatte hellbraune Haare und einen Seitenscheitel. Die beiden sprachen einander bei jeder Gelegenheit mit dem Vornamen an. Sie hießen Rita und Marc. Rita sagte zum Beispiel, Ich bitte dich jetzt, Marc, zeig uns bitte jetzt die nächste Übung, zuerst vielleicht ganz langsam, Marc. Und Marc antwortete darauf: Gut, Rita, ich werde jetzt die nächste Übung zeigen.

Marc zeigte, wie man die Bauchmuskulatur, die Rückenmuskulatur und die Oberschenkel trainierte. Rita kommentierte die Übungen, die Marc vorzeigte. Marc war der Körper, und Rita war die Sprache.

Das Gerät konnte mit ein paar Handgriffen schnell zusammengeklappt werden und brauchte kaum Platz.

Rita und Marc trainierten in einem großen, hellen Raum, vielleicht in einem riesigen Fitneßstudio irgendwo in Kalifornien. Das war ihr Universum, hell und klar und funktional.

Ich nahm das Telephon und drückte noch einmal die Kurzwahltaste für Martins Nummer. Die Mailbox schaltete sich ein.

Ich sagte: Es hat sich nichts geändert. Ich bin dir nicht böse. Was immer passiert ist, wir können über alles reden.

Ich behielt das Telephon im Bett. Ich ließ es unter der Decke bei meinen Beinen.

Es wurde hell draußen. Um acht würde das Zimmertelephon läuten. Der Zug ging um zehn nach neun.

Ich sagte: Ich ruf’ dich wieder an. Wenn ich im Zug bin. Ich ruf’ dich um zehn an. Dann bist du schon wach. Dann wecke ich dich nicht auf. Ich will mit dir darüber reden. Ich ruf’ dich wieder an.

(Auszug)

[kolik 22]